Von Kamen nach Corleone
Eigentümlichkeit der Einladung der Ruhr-Universität war auch von der SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag bemerkt worden. Weshalb es in ihrer Großen Anfrage zum Thema Mafia heißt: »Gibt es in Nordrhein-Westfalen keine Mafiaexperten, oder wie ist es zu erklären, dass ein mehrfach im BKA-Bericht genannter, aus San Luca stammender Duisburger Gastronom sowie ein im Zwielicht befindlicher Produzent von kalabrischer Mafiamusik an der Universität Bochum Schülern und Studenten das Wesen und die Eigenschaft der Mafia erklären?«
Das Innenministerium erklärte daraufhin, dass die beiden im Rahmen eines landeskundlichen italianistischen Projekts der Ruhr-Universität Bochum eingeladenen Referenten ein »aus Duisburg stammender Gastwirt, der zufällig denselben Namen trägt wie ein mutmaßlicher kalabrischer ’Ndrangheta-Clan, und ein in Hamburg lebender Journalist, der auch eine in Italien von der RAI gezeigte Dokumentation über Geschichte und Verhaltensregeln der kalabrischen Mafia vorführte«, gewesen seien.
Nun sind in Italien bereits hinreichend viele Mitglieder des Clans Pelle-Romeo rechtskräftig wegen Mafiazugehörigkeit verurteilt worden, dass man sich bei einer Erwähnung des Clans das Wort »mutmaßlich« guten Gewissens sparen kann. Und der italienischen RAI kann man sicher einiges vorwerfen, nicht aber, vermummte Männer gezeigt zu haben, die durch das Aspromontegebirge reiten und die Mafia nuschelnd zum Weltkulturerbe verklären. Die Dokumentationwurde von der RAI nie gesendet – wie diese auf Anfrage mitteilt.
Der Abend dämmert, und wenn ich in den konkav gewölbten Seitenspiegel blicke, verwandelt sich die Landschaft in ein Bild von Magritte, mit den nachtschwarzen Umrissen der Bäume und einem Himmel, der noch taghell ist, azurblau, mit einem goldenen Streifen am Horizont. Zuletzt sah ich so einen Himmel am Rhein, irgendwo bei Unkel, im Siebengebirge, der Rhein war ein breites, blaues Band, die Bäume am Ufer schwarz, und im Himmel trieb rosa Dunst. Am Tag zuvor war ich noch in Palermo gewesen, inmitten von Abgasdunst und den Polizeisirenen der gepanzerten Limousinen der Staatsanwälte, inmitten von aufgeplatzten Mülltüten, die sich am Straßenrand stapelten, weil die Müllabfuhr seit Tagen streikte. Als ich am Ufer des Rheins stand, erschien mir Deutschland plötzlich so heil, so unversehrt, so romantisch, dass ich vor mir selbst erschrak.
Insgeheim bedaure ich etwas, dass mein Weg nicht über die Kölner Rheinbrücke führt, denn ich freue mich jedes Mal wie ein Kind am Anblick des Kölner Doms. Der erste Schulausflug meines Lebens hatte Köln zum Ziel, wo wir unserer Lehrerin lauschten, die uns die steinerne Anmut der Kathedrale nahezubringen versuchte, während wir flüsternd feststellten, dass sich Köln abgesehen von der Kathedrale und dem Rhein nicht wesentlich vom Ruhrgebiet unterschied. Instinktiv spürten wir Kinder, dass die Verwüstung durch den Krieg und die Zubetonierung während der Aufbaujahre das ganze Land betrafen.
Tatsächlich ist mir Köln ans Herz gewachsen, besonders seit ich nach Italien gezogen bin. Was weniger mit den 35 000 Italienern zu tun hat, die in Köln leben, als mit dem rheinischen Katholizismus, der mit dem italienischen engverwandt ist. Eine Feststellung, die von den Kölnern immer etwas bitter auflachend bestätigt wird, während sie aus dem Stand sämtliche Kölner Korruptionsaffären der letzten zwanzig Jahre aufzählen. Müllskandale, Bestechungsskandale, Bauskandale. Ein schiefer Kirchturm, der Einsturz des Stadtarchivs. Geklautes Baumaterial, gefälschte Bauprotokolle, Schrottbeton, Sand statt Zement, dünn aufgetragene Asphaltdecken, minderwertiger Beton. All das kenne ich aus Sizilien, aus Kalabrien, aus Kampanien, wo die Bauindustrie seit Jahrzehnten in der Hand der Clans ist. Vielleicht ist es das, was Köln mit Italien gemein hat.
Und die Neigung zur Selbstgeißelung. In Italien ist sie weit verbreitet. Der sizilianische Schriftsteller Leonardo Sciascia bemerkte dazu, dass die Suche nach einer Identität, die Begierde, sich zu porträtieren und sich zu erkennen, die erbarmungslose Bereitschaft zur Selbstkritik von Sizilien und den süditalienischen Regionen nach Norditalien vorgedrungen sei. Es sei die Unsicherheit des Südens, die ganz Italien unsicher mache. Eine ähnliche Jagd nach der Selbsterkenntnis finde man – goethisch – nur noch bei den Deutschen und – gogolisch – bei den Russen; aber ganz und gar nicht bei den Franzosen
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