Von Kamen nach Corleone
Summen, die er in Leipzig investiert hat, sind enorm hoch und selbst mit einem gutgehenden Unternehmen nicht zu erklären. Weiterhin verfügt er über beste Kontakte zur Wirtschaft und Politik, sodass eine weitergehende Abklärung in Deutschland sehr schwierig sein wird.«
In München ist auch der Clan der Licciardi aktiv, ein bekannter Camorra-Clan, der in Deutschland schon lange seine Geschäfte mit gefälschter Markenkleidung und mit gefälschten Markenlederjacken machte, die in Neapel hergestellt wurden und in Deutschland in Läden verkauft werden, die nebenher als Kokainlager genutzt wurden.Was mich sofort an einen italienischen Schuhladen in Schwabing denken lässt. Er verkauft Herrenschuhe und Damenschuhe, gediegene Modelle, zeitlose Eleganz, nichts Ausgefallenes, keine Stilettos, sondern trittfeste Blocksätze. Jedes Mal, wenn ich in München bin, laufe ich an dem Laden vorbei. Und in zwanzig Jahren habe ich darin nicht einen einzigen Kunden gesehen.
Wenig später sitze ich mit einem italienischen Freund an einem der Holztische des Franziskaner-Brauhauses und bestelle Nürnberger Rostbratwürstchen. Giovanni arbeitet seit kurzem in München als Ingenieur, wir kennen uns aus Venedig, wo er wohnte, bevor er nach München zog. Seine sizilianischen Ursprünge sieht man ihm auf hundert Meter Entfernung an, er sieht aus wie eine jener lebensgroßen sizilianischen Marionettenfiguren. Ein Sarazene mit blauschwarzem Haar und Bart, einer von denen, die mit den Säbeln rasseln und sich in der Schlacht aufopfern. IN JENER GRANDIOSEN! SCHRECKLICHEN! ERBARMUNGSLOSEN SCHLACHT!, für die einst die Puppenspieler in Sizilien in Großbuchstaben auf Plakaten in blutrünstigen Farben warben.
Giovanni isst Wiener Schnitzel und preist die Vollkommenheit dieses Wiener Schnitzels, so dünn!, so delikat!, so leicht!, dass man meinen könnte, er würde vom bayerischen Fleischerverband dafür bezahlt. Am liebsten würde Giovanni jeden Tag Schnitzel essen, behauptet er, und ich befürchte, dass er das ernst meint. Nachdem er in einem italienischen Restaurant in Schwabing erlebte, wie dort ein Boss am Tisch sitzend seine Soldaten empfing, junge Männer mit gegelten Haaren, Rolexuhren und Glücksbändern am Handgelenk, und einem nach dem anderen Instruktionen erteilte, während die deutschen Gäste die Qualität der im Holzofen gebackenen Pizza priesen, geht er nurnoch dann Italienisch essen, wenn er den Besitzer des Restaurants persönlich kennt. Was seine deutschen Freunde eigentümlich finden. Aber wie soll er ihnen auch erklären, dass er aus Gesten Botschaften liest, die sie nicht verstehen würden? Gesten der Überheblichkeit, des Allmachtswahns, Botschaften, die er aus Sizilien kennt? Und vor denen er geflüchtet ist? Vor den Bossen, denen man in der Bar katzbuckelnd fünf Espresso bereitstellt, Bosse, denen man an der Kasse der Luxusboutiquen in Palermo Via della Libertà sagt: Kein Problem, es ist schon erledigt? Denen niemand Einhalt zu bieten wagt?
Einmal erzählte mir Giovanni die kleine Geschichte von einem Typen, mit dem er ab und zu Fußball spielte: Vor ein paar Jahren bat dieser Giovanni darum, mitten im Winter das Ferienhaus der Familie am Meer mieten zu können. Was bereits ungewöhnlich ist, denn für Sizilianer existiert das Meer nur im Sommer. Während der restlichen Monate geht man ihm aus dem Weg. Wer in Sizilien auf die Idee kommt, im Winter ein Haus am Meer zu mieten, kann nur ein Mafioso sein, der ein Versteck braucht. Ein Freund drängte Giovanni, die Vermietung der Polizei zu melden: Sonst hast du ein Problem, weil du als Gehilfe der Mafia angeklagt werden kannst, sagte er. Es gibt in Italien tatsächlich ein Gesetz, demzufolge nicht nur jeder Mieter, sondern auch jeder Besucher, der länger als drei Tage über Nacht bleibt, der Polizei gemeldet werden muss. Ein Antimafiagesetz. Das vermutlich niemand außer Giovanni respektiert.
Giovanni ging tatsächlich zur Polizei. Als er den Namen des Mieters sagte, wurde der Polizist blass. »Ist der Mann denn gefährlich?«, fragte Giovanni. Und der Polizist antwortete: »Mehr als das.«
Giovanni hatte auch seinem Mieter mitgeteilt, dass erdie Vermietung der Polizei gemeldet habe. Den schien das jedoch keineswegs zu beeindrucken. Tatsächlich passierte nichts. Bis kurze Zeit später ein Mafioso per Kopfschuss ermordet wurde – von Giovannis Mieter. Alle im Dorf hatten gesehen, wie die beiden Männer zusammen ins Auto gestiegen waren – und wie das Auto ins
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