Von Kamen nach Corleone
präzisen Preis hat. Der mit legalen Mitteln nicht unterschritten werden kann. Aber wie kann ein Staatsanwalt daraus einen in Deutschland gültigen strafrechtlichen Vorwurf machen? Warum sollte der deutsche Bauunternehmer nicht die billigste Firma nehmen? Nur, damit er auf der sicheren Seite steht?
»Nicht jede Sauerei ist strafbar«, sagt Krombacher.»Heuchelei ist nicht illegal. Ich brauche Anhaltspunkte, belegbare. Ich brauche ›zureichende tatsächliche Anhaltspunkte‹.«
Ansonsten gebe es noch die Russenmafia. Nicht nur in Stuttgart, sondern in vielen anderen deutschen Städten auch, würden keine Strukturermittlungen der italienischen Mafiaszene mehr gemacht, sagt Krombacher. Das bedeute, es wird nicht mehr ermittelt, wie die Clans beschaffen sind. Wer dazu gehört. Wie sie ihr Geld verdienen. Wer mit ihnen zusammenarbeitet. Wie sie ihr Geld waschen. Wer sie deckt. Wer ihnen Bürgschaften des Landes verschafft oder europäische Fördergelder. Es wurden keine V-Männer mehr eingeschleust, kein Mafioso wurde mehr beschattet, abgehört, kontrolliert.
Und weniger Ermittlungen ergeben weniger Delikte. Jedenfalls für die Statistik.
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»Sicherheit ist Geborgenheit«, lese ich auf einem Aufkleber an der Tür. Ein Satz, den ich auf einer Polizeiwache erwartet hätte. Oder in einem Büro für Haftpflichtversicherungen. Nicht aber in einer Autobahntoilette auf der Schwäbischen Alb. Erst recht nicht die Frage: »Kommt zu Hause auch keiner rein?«, die auf einem weiteren Aufkleber an der Toilettenwand zu lesen ist. Im Hintergrund höre ich die Meeresbrandung rauschen, samt Möwengeschrei. Das deutsche Raststättenwesen bietet stets neue Überraschungen. Nach den Wohlfühloasen mit den Segafredo-Bars jetzt auch noch die Sanitas-Hochsicherheitstoilette – die man über ein Drehkreuz betritt, das einer Justizvollzugsanstalt alle Ehre machen würde. Das Drehkreuz öffnet sich nur, nachdem man einen Toilettenbenutzungsbon gekauft hat. Den man in der Raststätte verrechnen lassen kann, etwa mit einem espressodoppiomacchiato . Die Methode mit den Gutscheinen wird auf einem Plakat erläutert, es trägt die Überschrift: Unsere Philosophie – unser Versprechen. Die keimfreie, gesicherte Autobahntoilettengesellschaft.
Deutschland verwundert mich immer wieder. Einerseits gibt es hier Hochsicherheitstoiletten. Und andererseits kein vernünftiges Gesetz gegen Geldwäsche. Man fürchtet Einbrecher und den Lauschangriff, aber nicht dieMafia. Häufig habe ich versucht, den Begriff »Lauschangriff« ins Italienische zu übersetzen, etwa mit il grande attacco d’origliamento oder il grande spionaggio telefonico oder il grande orecchio , was auf Itaienisch sehr komisch klingt, »Horchattacke«, »das große Ohr« oder die »große Telefonspionage«. Ich versuchte zu erklären, dass die deutsche Angst vor dem Abhören aus der Erfahrung mit den nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen resultiere, als die Bürger vom Staat bespitzelt worden waren. Mitleidig nicken die Italiener mit dem Kopf. Aber am Ende verstanden sie dennoch nicht, warum die angeblich so staatstreuen Deutschen immer noch mehr Angst vor dem Staat haben als vor der Mafia. Das strenge deutsche Abhörgesetz gefiel auch der Berlusconi-Regierung so gut, dass sie es sich zum Vorbild nahm, als es darum ging, das italienische Abhörgesetz abzuschaffen.
Ich beschließe, bis München zu fahren und dort die Nacht zu verbringen. Seitdem ich als Kind meine Ferien am Chiemsee verbracht habe, bin ich Bayern unrettbar erlegen. Sobald ich einen Zwiebelturm sehe, fühle ich mich in meine Kindheit versetzt und verwandele mich wieder in eine staunende Zehnjährige, die den Schuhplattlern vom Chiemsee so ungläubig zuschaut, als handelte es sich um einen Eingeborenenstamm aus Neuguinea. Bayern, das ist für mich immer noch Lüftlmalerei, Hirschgeweihe am Balkon und eiskalte Alpenseen. Das sind Barockkirchen mit flackernden Kerzenfeldern vor Marienstatuen und Biergärten mit rot-weiß-karierten Tischdecken.
Der Alfa Spider fällt in München noch weniger auf als in Stuttgart. Im Gegenteil, ich fühle mich darin fast wie eine arme Verwandte. Denn als ich an einer Ampel an der Leopoldstraße warte, scheint die halbe Stadt in Z3-Cabrios unterwegs zu sein. Und auf dem kurzen Straßenstückzwischen Siegestor und Münchener Freiheit auf und ab zu fahren, vorbei an silbrig schimmernden Pappeln und Kaffee haustischen, an denen Mädchen mit riesigen Insektenaugen sitzen. Hier
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