Von Kamen nach Corleone
trägt man Sonnenbrillen auch wenn es neblig ist, das ist München seinem Ruf als nördlichste Stadt Italiens schuldig.
Diesem Ruf entspricht es wohl auch, dass sich die Mafia seit den siebziger Jahren im »Stützpunkt München« bestens eingerichtet hat, vor allem die Mitglieder der aus dem kalabrischen San Luca stammenden ’Ndrangheta-Familien, jener beiden Clans, zu dem die Opfer und die Täter aus Duisburg gehören. Es sind die altbekannten Namen, Pelle, Romeo, Strangio, Nirta, Giorgi. Vielleicht sind ihre immergleichen Namen die beste Tarnung der kalabrischen Mafiosi.
Wie üblich wird in den Restaurants der Clans Geld gewaschen, mit Vorliebe dadurch, dass die Besitzer vieler Lokale kontinuierlich wechseln – und bei jedem Kauf und Verkauf große Summen Geld gewaschen werden können. Wie üblich treffen sich in den Lokalen die Clanmitglieder, wie üblich wird hier Kokain deponiert und verkauft. Die ’Ndrangheta kontrolliert den gesamten Kokainmarkt in Europa, und in einer reichen Stadt wie München gibt es genügend Abnehmer.
In München stammt die letzte Schutzgelderpressung aus dem Jahr 1993 – was bedeute, dass die Mafia mitten in der Gesellschaft angekommen sei, hatte mir einige Monate zuvor ein Münchener Fahnder gesagt. München sei verkauft. Erlegt, zerlegt und geteilt zwischen ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra, von den Russen ganz zu schweigen. Die italienischen Mafiosi seien aufgestiegen zu Nobelitalienern, die in der Nobelgesellschaft verkehrten. Nicht solche Dumpfbacken wie die Russen, die ihre Rivalitätenhin und wieder noch offen austragen. Ein Vakuum herrsche nur noch an solchen Orten wie Erfurt.
Als ich ihn fragte, ob die Politik das Problem sähe, sagte er: Politiker seien Wellenreiter. Und die jetzige Welle heiße islamische Terrorgefahr. Wenn Beamte, die eigentlich dafür zuständig waren, Mafiastrukturen zu ermitteln, abgezogen werden, um islamische Terroristen zu bewachen, merke das in Deutschland niemand. Niemand, außer den Mafiosi.
Die letzte Schutzgelderpressung in München richtete sich pikanterweise gegen einen ehemaligen Kellner des Duisburger Restaurants Da Bruno, als sich das Lokal noch in der Tonhallenstraße befand. Der Geschäftsführer einer Münchener Pizzeria musste sein Lokal verkaufen, weil es so verschuldet war. Der Kellner wollte sich damals in München mit einer Pizzeria selbstständig machen und wurde dann von dem Geschäftsführer der Pizzeria und drei weiteren mutmaßlichen Mitgliedern des Clans Pelle-Romeo erpresst, die von dem Kellner anstatt 270 000 Mark fast die doppelte Summe als Ablöse für das Inventar verlangten: 500 000 Mark. Das BKA berichtete, dass es zu Drohungen, Erpressungen und auch Zahlungen gekommen sei, bis die Erpresser festgenommen wurden. Drei der Täter wurden durch das Amtsgericht München verurteilt. Der vierte erschien weder zu Vernehmungsterminen noch vor Gericht, er legte ein ärztliches Attest vor, weshalb das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Die Verurteilung wegen der Münchener Schutzgelderpressung blieb letztlich ein kleiner Betriebsunfall in der Geschichte der ’Ndrangheta in Deutschland, denn sie hielt die Verurteilten nicht davon ab, weiterhin sehr erfolgreich in Deutschland Restaurants zu betreiben.
Die Wege der Clanmitglieder aus Erfurt und Duisburgkreuzen sich auffallend häufig in München. Im Frühjahr 2010 kam es in München zu einer Großrazzia, an deren Ende elf mutmaßliche Mafiosi festgenommen wurden, denen vorgeworfen wurde, Kokain importiert zu haben; sie sollen mutmaßliche Mitglieder des Clans Pelle-Romeo sein.
Als ich durch Schwabing fahre, muss ich an jene unternehmerische Wundergeschichte aus dem BKA-Bericht über die ’Ndrangheta in Deutschland denken. Es ist die Geschichte eines italienischen Handelsvertreters von Textilien, über den der BKA-Bericht Folgendes enthält: Der Textilvertreter reiste 1981 nach München ein, meldete ein Gewerbe an und heute macht sein sogenanntes Familienunternehmen einen Jahresumsatz von 665 Millionen Euro. Ihm gehören Immobilien und Einkaufspassagen in München und in Ostdeutschland, und er wird verdächtigt, für die Mafiaorganisation aus Apulien, die Sacra Corona Unità, Geld zu waschen. Er gibt in München Partys, an denen die Münchener Society gerne teilnimmt. So stellt das BKA mit einer gewissen Resignation fest: »Hier ist nicht nachvollziehbar, wie er innerhalb von fünfzehn Jahren vom einfachen Stoffhändler zum Multimillionär aufsteigen konnte. Die
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