Von Kamen nach Corleone
Jahrhundert also herrscht hier der wegen Steuerbetrugs, Bilanzfälschung, Richterbestechung angeklagte, geliftete und künstlich behaarte, reichste Unternehmer Italiens. Medienmogul und Parteigründer. Berlusconi wurde mit Mädchen auf dem Schoß fotografiert, er trug seine Ehekrise über die Tagespresse aus und führte sich bei Staatsbesuchen oder Wirtschaftsgipfeln wie ein Vorstadtcasanova der fünfziger Jahre auf, der schon beim Anblick eines weiblichen Fußknöchels einen Kontrollverlust erleidet. Und wurde wieder gewählt.
Auf Deutschland übertragen, sähe Berlusconis Macht so aus: Er ist der Mann, dem alle privaten Fernsehsender des Landes bis auf einen gehören, er ist Herrscher über die größte Verlagsgruppe, also Bertelsmann samt Random House, über die größte Filmproduktion samt dazugehörigem Filmverleih, etwa Constantin-Film, ihm gehören die Deutsche Bank, dazu die beiden größten Kaufhausketten Karstadt und C & A, der 1. FC Bayern München, die Allianz-Versicherung als größte deutsche Versicherungsgesellschaft, dazu noch die größte deutsche Werbeagentur, zwei der größten überregionalen Tageszeitungen, und weil das alles noch nicht reicht, gehört ihm auch noch ein Viertel des spanischen Fernsehsenders telecinco und als quantité négligeable noch diverse Investmentfirmen – dreihundert Firmen insgesamt. Und der Witz ist: Niemand stellt das in Frage.
Der Schriftsteller Andrea Camilleri sieht den Grund dafür darin, dass die Italiener in Berlusconi ihr Spiegelbildwähnen: einer, den sie dafür bewundern, dass er betrügt und es am Ende immer schafft, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Denn nur eine Minderheit der Italiener respektiere das Gesetz. Die Mehrheit hinterziehe Steuern.
Dahinter verbirgt sich allerdings weniger der schlechte Charakter der Italiener als das grundsätzlich prekäre Verhältnis zwischen dem italienischen Staat und seinen Bürgern. Dass der Staat in Italien stets hintergangen wird, durch tägliche Sabotageakte, durch Schwarzbauten, Steuerhinterziehung und Parken in der zweiten Reihe, ist ein Gemeinplatz. Viel weniger bekannt ist aber, dass sich der italienische Staat seinen Bürgern gegenüber auch wenig vorbildhaft verhält. Vielmehr argwöhnisch wie eine Besatzungsmacht gegenüber einem fremden Volk, das ständig in Schach gehalten werden muss.
Ich glaubte früher, dass die deutsche Bürokratie nicht zu übertreffen sei. Wer aber jemals versucht hat, auf einem italienischen Amt ein Auto anzumelden, eine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern oder einfach nur den Verlust eines Päckchens anzuzeigen, der weiß, wie es sich anfühlt, ein Bittsteller zu sein. Oder schlimmer noch: ein Verbrecher. Vor kurzem erfuhr ich von einem Galeristen in Venedig, der wegen eines Geländers an seiner Galerie zu acht Monaten Haft und fünfzehntausend Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Und das, obwohl er eine ordnungsgemäße, aus dem Jahr 1949 stammende Genehmigung für das Vorhandensein des Geländers vorgelegt hatte. Egal, urteilten die Richter: Das dort seit sechzig Jahren befindliche Geländer sei illegal. Der Richter hatte drei Jahre Haft und dreißigtausend Euro Strafe verlangt. Und der Galerist wird die Haftstrafe nur aus dem Grunde nicht antreten müssen, weil die italienische Regierung vor zwei Jahren eine Generalamnestie erließ, wie es hieß, um die überfüllten italienischenGefängnisse zu entlasten. Von der Amnestie profitierten allerdings nicht nur unbescholtene venezianische Galeristen, sondern auch sechstausend neapolitanische Kriminelle, Mafiosi, Menschenhändler.
Wenn Berlusconi sich also als Opfer der Justiz darstellt, kann er ohne weiteres auf die Solidarität vieler Italiener zählen, die unter einer byzantinisch anmutenden Bürokratie und einer kafkaesken Gesetzgebung leiden. Aber das allein erklärt Berlusconis Wirkung nicht. Seinen Triumphzug hat er auch der Tatsache zu verdanken, dass ihm die größte Oppositionspartei, die Partito Democratico, seinen Erfolg nie streitig gemacht hat. Ganz im Gegenteil: Bereits der ehemalige Kommunistenchef Massimo D’Alema regierte in schönster Eintracht mit Silvio Berlusconi und machte sich dabei nützlich, das Mafiakronzeugengesetz abzuschaffen, das ein Stachel im Fleisch der Mafia war. Und der ehemalige Justizminister Clemente Mastella sorgte unter der letzten Prodi-Regierung persönlich dafür, dass Staatsanwälte abberufen werden, sobald sie gegen italienische Politiker ermitteln: Dem kalabrischen Staatsanwalt
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