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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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spätsommerliche Sonne hüllte sich in Weihrauchdunst, der Applaus rollte wie eine gigantische Meeresbrandung über die Piazza Grande hinweg, und alle weinten wie die Kinder. Finanzgeneräle in goldbetressten Uniformen, Leibwächter in schmalen schwarzen Anzügen, italienische Fernsehsternstäubchen, schärpengeschmückte Bürgermeister. Die Journalisten schluchzten, bis sie Schluckauf bekamen, die Menge rief Lu-cia-no, Lu-cia-no, Addio Lu-cia-no , der Vorhang fiel, und ich wollte dazugehören. Zu Italien, zu jener seltsam zänkischen Familie, in Schmerz und Freude vereint, die um Lu-cia-no wie um einen nächsten Verwandten trauerte.
    Und während man in Modena um Pavarotti trauerte, hatte der italienische Starkomiker Beppe Grillo nur wenige Kilometer weiter in Bologna zum V-Day aufgerufen, zum Vaffanculo -Day, den Haut-ab-ihr-Ärsche-Tag, zu dem sich mehr als anderthalb Millionen Italiener versammelten, um die Parteien nicht nur zu verdammen, sondern auch per Petition dazu aufzufordern, vorbestraften Parlamentariern das Mandat zu entziehen, im italienischen Parlament sitzen 24 vorbestrafte Parlamentarier sowie 77 Abgeordnete, die in erster und zweiter Instanz verurteilt worden sind. Was den Taxifahrer, der mich nach Pavarottis Beerdigung zum Bahnhof von Bologna bringen sollte, verzweifeln ließ. Nicht weil er für die vorbestraften Parlamentarier gewesen wäre, sondern weil fast die gesamte Innenstadt Bolognas wegen der Demonstration abgeriegelt war.
    Es war eine bizarre Koinzidenz, dass auf nur wenigen Kilometern so viele Italiener zusammengekommen waren. Die einen, um zu trauern, die anderen, um zu protestieren.Daran muss ich denken, als ich die padanische Tiefebene durchquere und Reisfelder bis an den Horizont reichen. »Bologna 35 km« steht auf einem Schild, und vor mir fährt ein Fiat cinquecento, den ich ungläubig staunend überhole, plötzlich sieht alles aus wie in Bitterer Reis , es fehlt nur noch Silvana Mangano mit hochgekrempelten kurzen Hosen und spitzem Busen.
    Wenn ich in Deutschland sage, dass ein Komiker wie Beppe Grillo eine der Heldenfiguren und Hoffnungsträger jenes Italiens ist, das sich von der herrschenden italienischen Politikerkaste nicht repräsentiert fühlt, dann sehe immer die befremdeten Blicke: Ein Komiker, der Politik macht? Dabei ist Grillo immer mehr gewesen. Grillo ist der Antichrist, der italienische Politikwüterich, Umweltschützer, Moralist, Nationalheiliger in Personalunion. Und Anführer einer gewaltigen Protestbewegung, die hinter den erstarrten Rücken der italienischen Politiker im Netz gewachsen ist, Anführer einer Gegenöffentlichkeit, den rechte wie linke Politiker fürchten wie der Teufel das Weihwasser – weshalb sie keine Gelegenheit auslassen, um Grillo als Demagogen und Populisten zu verhöhnen.
    Ich traf Grillo zum ersten Mal in Turin, an einem grauen Wintertag, als die Stadt so verhangen daherkam wie in den neorealistisch angehauchten Filmen. Filme, in denen süditalienische Arbeitsemigranten stets mit einem Pappkoffer in der Hand durch Turins Nebel laufen. Als wir ein Café betraten, blickten die Leute erst so ungläubig, als hätten sie eine Erscheinung, dann lächelten sie beseelt und wollten Autogramme. Sie wollten Beppe Grillo anfassen, so wie den Papst oder Padre Pio oder einen Buckligen, der Glück bringt, wenn man seinen Buckel mit den Fingerspitzen berührt. Grillo kritzelte auf Papierservietten und Streichholzschachteln, bitte schreiben Sie: für Elena, undmit einem Mal sahen die Leute aus wie erleuchtet. Als seien sie dem Retter begegnet. Der sie erlösen soll von Berlusconi und vom Feinstaub, von vorbestraften Parlamentariern und arsenverseuchten Käfighühnern.
    Grillo war daran gewöhnt, dass man ihn stets in jenem vertraulichen Ton anspricht, in dem man einem Arzt sein geschwollenes Knie zeigt: Sie als Komiker, Sie kennen sich doch aus ... Und dann geht es um Anlagebetrügereien. Oder um die Löcher im Gesetz über die Beschlagnahmung von Mafiagütern. Oder um den Parmalat-Skandal.
    Bei einem Abendessen hatte ihm ein ehemaliger Parmalat-Manager erzählt, dass die Schulden des Unternehmens längst über dem Umsatz lagen. Das war zwei Jahre vor dem Zusammenbruch des Lebensmittelkonzerns. Beppe Grillo machte daraus eine Nummer seiner Show. Später luden ihn die Staatsanwälte als Zeugen vor: Sie als Komiker, Sie kennen sich doch aus ... Seither ist Beppe Grillo ein Nationalheiliger. Zuständig für aussichtslose Fälle, Mafia und Meineid und

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