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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Luigi De Magistris war das Verfahren entzogen worden, nachdem bekannt wurde, dass er sich erkühnt hatte, wegen Veruntreuung von EU-Geldern nicht nur gegen einige Freunde des Justizministers zu ermitteln, sondern auch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi selbst. Kurz danach musste Justizminister Mastella wegen Amtsmissbrauchs und Erpressung zurücktreten und brachte so die Regierung Prodi zu Fall. Danach lief Mastella ins gegnerische Lager über und durfte zur Belohnung für die christdemokratische Partei in das europäische Parlament einziehen.
    Und in diesem gefühlten Berlusconi-Jahrhundert brachte es die linke Opposition weder fertig, ein Gesetz zu demInteressenskonflikt – zwischen dem Amt als Ministerpräsident und Berlusconis Stellung als größter Medienunternehmer des Landes – vorzuschlagen, geschweige denn auch nur einen ernstzunehmenden Oppositionsführer hervorzubringen: Berlusconi hat sie alle verschlissen. Obendrein verhinderte die linke Opposition auch noch, ein gigantisches Steueramnestie-Gesetz zu Fall zu bringen: Im Herbst 2009 stimmte die von Berlusconi geführte Regierungsmehrheit dafür, im Ausland geparktes Schwarzgeld gegen einen geringen Obolus von fünf Prozent wieder in den Klingelbeutel zurückzuholen. Ein Gesetz, maßgeschneidert nicht nur für Steuerflüchtlinge und Bilanzfälscher, sondern vor allem für die Mafia. Es sorgt dafür, dass die Anonymität der jeweiligen Personen gewahrt wird und die Banken davon befreit sind, einen Geldwäscheverdacht melden zu müssen. Bevor das Gesetz beschlossen wurde, hat die kleine, von dem ehemaligen Staatsanwalt Antonio Di Pietro geführte Partei »Italien der Werte« eine Abstimmung darüber erzwungen, ob dieses Gesetz verfassungskonform sei. Leider fehlten die nötigen Stimmen der Opposition, um das Gesetz zu Fall zu bringen; 24 Abgeordnete der Linksdemokraten waren entweder gerade beim Arzt oder in Spanien unterwegs oder hatten angeblich nicht begriffen, wie wichtig diese Abstimmung war. Die Mafia dankt es ihnen.
     
    Ein Strahlenfächer dringt aus dem Himmel und erleuchtet die abgeernteten Kornfelder neben der Autobahn, eine Ansicht wie auf den Deckengemälden barocker Kirchen, gleich werden Heilige aus dem Himmel flattern. Autofahren kann so schön sein. Auf Radio Capital wird mi sono innamorato di te gespielt, eines meiner Lieblingslieder. So ergreifend schön und traurig zugleich, dass ich nicht wagemitzusingen. Ich habe mich in dich verliebt, weil ich gerade nichts zu tun hatte, singt Luigi Tenco. Ich habe mich in dich verliebt, und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Am Tag bereue ich, dich getroffen zu haben, und nachts suche ich nach dir .
    Es gibt kaum einen Italiener, der dieses Lied nicht mitsingen könnte – und der nicht, kaum dass der letzte Ton verklungen ist, die tragische Geschichte von Luigi Tenco erzählen würde, der sich am Ende des Schlagerfestivals von San Remo eine Kugel in den Kopf schoss. Wie es hieß, aus Protest gegen das Votum der Zuschauer, die Tencos Lied auf den zwölften Platz verwiesen. Aber an so ein prosaisches Motiv hat nie jemand geglaubt. Vielmehr verberge sich eine unglückliche Liebesgeschichte dahinter, wird mit einer Eindringlichkeit beteuert, dass man meinen könnte, Tencos Selbstmord liege erst Tage zurück und nicht mehr als vierzig Jahre. Italiener lieben ihre Künstler mit Inbrunst, als seien sie mit ihnen verwandt, als sei der unglückliche Luigi Tenco ihr Bruder gewesen, der Schauspieler Alberto Sordi ihr Großonkel und Luciano Pavarotti ihr Cousin.
    Als Luciano Pavarotti in Modena zu Grabe getragen wurde, nahmen an dieser Beerdigung tausende engster Verwandter teil. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, als ich unter den Trauernden vor dem Dom stand. Eine Redaktion hatte mich nach Modena geschickt, und am Ende der Trauermesse hatte ich nur noch einen Wunsch: als Italienerin zu sterben. Als berühmte Italienerin. Von einem ganzen Volk betrauert, mit Weihrauch, Ave Maria und einer Kunstflugstaffel. Nicht irgendeiner Kunstflugstaffel, sondern der Mutter aller Kunstflugstaffeln, der frecce tricolori , die dreifarbigen Pfeile der italienischen Luftwaffe. Befehligt vom italienischen Verteidigungsminister. Und eigentlich nur für Staatsbegräbnisse gedacht. Flugzeuge, die genau in jenemAugenblick im Tiefflug und fortissimo über unseren Köpfen hinwegdonnerten, als der Sarg von Luciano Pavarotti aus dem Dom getragen wurde. Letzter Akt einer großen italienischen Oper. Die

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