Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
verloren … Wo war ich denn gerade?“
„Bei Mac Igors Experiment?“, versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen.
„Ja, genau! Mac Igor verwandelte also den Tauchtiger in einen Mann und den Skorpionfisch in eine Frau.“
„Und das waren dann die ersten Menschen?“, fragte Tante Hablieblieb.
„Nein“, sagte Strom-Tom. „Menschen gab es doch schon lange vorher. Hört ihr denn gar nicht zu?“
Ein schnarrendes Geräusch mischte sich in die Stille. Omi war eingeschlafen.
Strom-Tom ließ sich davon nicht beirren. „Mac Igor hat sich für die Menschen entschieden, weil sie von allen Lebewesen den größten Ehrgeiz besitzen. Sie jagen Tiere, obwohl sie schon lange satt sind, kaufen hochverzinsliche Wertpapiere, obwohl sie gar nicht mehr wissen, was sie mit all dem Geld anfangen sollen, und so weiter und so fort. Mac Igor wollte die beiden dazu bringen, sich miteinander zu vereinen und eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Sicherheitshalber hat er die zwei dann unsterblich gemacht. Damit das Experiment nicht schon wieder vorbei war, bevor es eigentlich richtig begonnen hatte, versteht ihr? Leider hat es trotzdem nicht geklappt. Statt sich zu töten, fingen die beiden nämlich an, sich andauernd zu streiten. Weil der Mann zum Beispiel immer rohes Fleisch essen wollte. Oder die Frau unbedingt acht Paar Schuhe kaufen musste, obwohl sie ja nur zwei Füße hatte. Den ganzen lieben langen Tag ging das so. Also hat Mac Igor die beiden wieder getrennt. Allein schon wegen der Nachbarn. Die hatten unter dem ständigen Geschrei ganz schön zu leiden.“
„Wo … wo haben die beiden denn gewohnt?“, fragte ich und fühlte mich, als hätte ich einen entscheidenden Teil der Geschichte verpasst.
„Das ist völlig egal, Dodo!“, blaffte Strom-Tom. „Auf jeden Fall hat Mac Igor den Mann auf der Erde gelassen und der Frau eine eigene Welt gebaut: Lichtwiese. Die ersten Jahre hat das auch ganz gut geklappt. Der Mann absolvierte seine Grundausbildung bei der Armee unter Napoleon, brach ein Kunststudium in New York ab, arbeitete bei der russischen Eisenbahn im/am (?) Ruski-Pan-Orient-Express, hatte zwischen den Jahrhunderten mehrere Frauen, begann ein Studium der Elektrotechnik und ließ seine Wohnung verdrecken. Ach ja, und nebenbei erfand er noch die Glühbirne, schenkte die Erfindung aber einem anderen, jobbte bei McDonald‘s am Hauptbahnhof und machte seinen Abschluss bei VR-Enterprises.“
Strom-Tom legte eine Pause ein. Ich nutze die Gelegenheit, um die Spucke herunterzuschlucken, die sich in meinem Mund angesammelt hatte und meinen schmerzenden Kiefer zu massieren.
„Die Frau hingegen“, setzte Strom-Tom seine Geschichte fort, „erhielt von Mac Igor den rot-gelb gestreiften Löffel. Wenn man diesen Löffel ableckt, dann geht ein Wunsch in Erfüllung. Ganz gleich, was man sich wünscht, es wird wahr. Man sollte sich seinen Wunsch aber gut überlegen, denn pro Tag hat man nur einen frei. Mac Igor achtete peinlichst genau darauf, dass der Mann von dem Löffel nichts erfuhr. Der hatte die Trennung nämlich gar nicht gut überstanden und war zu einem fiesen, egoistischen Machtmenschen geworden. Deshalb überraschte es auch niemanden, als er an einem Donnerstag im Sommer 1987 zum Chef ernannt wurde. Diese neue Position nutzte er dann auch sogleich dazu, viele kleine, elektronische Helfer zu bauen, überall A77-Minikameras zu installieren und eine labyrinthartige unterirdische Festung mit Holo-Räumen zu errichten. Dodo, wenn sie nicht dein komplettes Oberstübchen ausgeräumt hätten, wüsstest du, wovon ich spreche.“
Ich stattete meinem Dachboden einen weiteren Besuch ab und kam wieder mit leeren Händen zurück. „Ich kann mich nicht erinnern. Tut mir leid.“
„Schon gut“, sagte Strom-Tom. „Na ja, und eines Tages erfuhr der Chef durch einen dummen, dummen Zufall dann doch von der Macht des rot-gelb gestreiften Löffels. Den Rest der Geschichte kennt ihr ja.“
„Dann war dieser Chef … dann waren er und ich …?“, fragte Tante Hablieblieb. Sie sah irgendwie schockiert aus.
„Nach Mac Igors Gesetz seid ihr das immer noch“, entgegnete Strom-Tom.
„Und warum befindet sich der Eingang zu dieser unterirdischen Festung in Omis Garten?“, fragte ich.
Omis Schnarchen wurde für einen Moment lauter.
„Das hat etwas mit dir zu tun“, antwortete Strom-Tom.
„Mit mir? Wie meinst du das?“
„Das weiß ich auch nicht so genau. Jegliche Informationen darüber, die sich in deinem Kopf befinden,
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