Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
möglich verschwinden. Wir sind hier nicht sicher, Dodo.“
Ich wollte gerade etwas entgegnen, als sich eine Bärenfalle um meine Schultern schloss und mich aus der schützenden Menschenmenge riss.
„Nur rumstehen und nicht spielen ist nicht“, grunzte Gio-Gio und zerrte auch Agerian hervor.
„Ich glaube, wir haben erst einmal genug vom Spielen“, sagte ich und zog mein T-Shirt zurecht.
„Man hat nie genug vom Spielen“, nuschelte Gio-Gio mit Bestimmtheit.
„Wir schon“, sagte Agerian und trat einen halben Schritt auf ihn zu.
Gio-Gios Blick wanderte langsam von Agerian zu mir und wieder zurück.
„Das hier ist ein Casino. Ihr müsst spielen!“, sagte er und begann wieder zu schielen. Offensichtlich lag der Grund dafür weniger in der Entfernung zwischen seinen Augen und dem fokussierten Objekt als mehr in einer Art innerer Erregung.
„Ich verstehe“, sagte ich und gab mich geschlagen, bevor der Schaufelbagger mich wieder durch die Gegend schieben würde. „Was ist denn das ungefährlichste Spiel hier?“
„Das Ungefährlichste?“ Gio-Gio glotzte zur Decke. Sein riesiger Kiefer mahlte, als müsse er das Gehörte erst einmal verarbeiteten.
„Möglicherweise irgendwas, bei dem man nicht sein Leben riskiert“, präzisierte ich meine Frage.
„Schwierig“, nuschelte Gio-Gio. „Vielleicht Ponga-Ponger – aber das ist eigentlich für Kinder.“
„Das hört sich gut an! Das spielen wir.“
Gio-Gio schnaufte und wandte sich zum Gehen.
„Das hättest du nicht tun sollen“, flüsterte Agerian.
„Was blieb mir denn anderes übrig?“, fragte ich. „Außerdem will der Chef dich töten, nicht mich.“
Agerian sah auf einmal sehr besorgt aus. „Beim nächsten Mal hast du vielleicht nicht so viel Glück wie gegen den Einarmigen Banditen.“
Ich spürte einen Stich. Vor einer Stunde war ich noch ein großer Krieger gewesen, jetzt sollte es nur Glück gewesen sein.
„Mach dir keine Sorgen um mich“, sagte ich und strich mein T-Shirt glatt. „Es ist ein Spiel für Kinder. Was kann da schon passieren?“
Ich hatte nicht das Geringste hinzugelernt.
Berty Bird ist der Name
Ich lief durch einen dschungelartigen Wald. Meine Beine waren seltsam kurz, und meine Schuhe hatten Klettverschlüsse. Ich war sechs Jahre alt. Schon wieder.
Mit jedem Schritt rückten die Stämme, Sträucher und Lianen weiter auseinander. Als ich mir sicher war, den verbotenen Teil des Waldes verlassen zu haben, blieb ich stehen und sah zurück. In der Ferne thronten die mächtigen Kronen der Krakrak-Bäume. Von Samuel war nichts zu sehen. Ich rief nach ihm und dachte: Hoffentlich hat er sich nicht verirrt. Vielleicht wäre es besser gewesen, auf ihn zu warten, doch die Zeit lief mir davon.
Im Unterholz hinter mir knackte es. Ich drehte mich um. Eine Gestalt kam durch das bunte Dickicht näher.
„Wer ist da?“, rief ich.
„Was machst du hier?“, fragte die Gestalt.
Ich erkannte ihre Stimme. „Lilly!“
„Was machst du hier?“, fragte sie wieder und sah mich misstrauisch an. Sie strich sich eine helle Strähne hinter die Segelohren. Auf einmal schlug mein Herz sehr laut.
„Ich …“, sagte ich. Mehr brachte ich nicht heraus.
Ein lautes Schnaufen vertrieb die Stille. Kurz darauf brach Samuel aus dem Gestrüpp hervor.
„Dodo …“, keuchte er, stolperte einige Schritte im Kreis und stützte sich dann auf seine Knie. Seine Wangen glühten rot wie Feuertomaten. „Ich dachte schon, ich hätte dich verloren …“
„Tante Hablieblieb wird es sicherlich interessieren, dass ihr im verbotenen Wald wart“, sagte Lilly.
Samuel zuckte zusammen und sah sich hektisch um. „Lilly …“
„So ist mein Name“, entgegnete Lilly und präsentierte uns ihre riesigen Vorderzähne, die ihr den Spitznamen Hasenzahn eingebracht hatten, jedoch nur so lange, bis ihre Segelohren zu wachsen begannen. Obwohl ich sie ab und an damit neckte, war ich insgeheim längst zu der festen Überzeugung gelangt, dass ihre Ohren wie Vorderzähne zu dem Schönsten und Perfektesten gehörten, was Mac Igor je geschaffen hatte.
„Warum … warum bist du hier?“, keuchte Samuel, als er wieder zu Atem gekommen war.
„Das frage ich euch“, sagte Lilly. „Und das wird Tante Hablieblieb bestimmt auch wissen wollten.“
Es gelang mir einfach nicht zu erkennen, ob sie uns nur ärgern wollte oder ob sie ihre Drohung ernst meinte.
„Du bist uns gefolgt“, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Haare fielen wie ein Fächer vor ihr
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