Von Liebe und Gift
strichen ständig über seinen Bauch oder die Seiten seiner grauen Cordhose. Als Gero ihn so betrachtete, tat sein Freund ihm plötzlich leid.
„Na gut“, sagte er leise und kam auf Neal zu, „dann zeig mal her …“
Neal nickte erfreut und fand auch sofort Platz auf dem Schreibtischstuhl. Seine Arme legte er vor sich auf den Tisch, dann sah er Gero erwartungsvoll an. „Und? Siehst du was?“ Gero antwortete erst nicht. Fachmännisch begutachtete er Neals Arme, die knochig waren, viele Blutergüsse und offene Wunden zeigten. Dann strich er mit den Fingerkuppen über die trockene Haut, drückte darauf herum, um tiefer sitzende Venen ausfindig machen zu können, doch es war zwecklos. Er schüttelte den Kopf.
„Das sieht nicht gut aus. Deine Venen sind alle kaputt. Zudem sind die Stellen infiziert, da kann man nirgends reinstechen. – Du musst zum Arzt damit.“
Als Neal das hörte, schüttelte er sofort den Kopf.
„Arzt kommt nicht in Frage!“, fauchte er, während er selbst noch einmal an den Armen herumrieb. „Außerdem – hättest du mir mehr Nadeln besorgt, hätte es sich sicher nicht entzündet.“
Da wurden Geros Augen groß. „Ach, jetzt ist es meine Schuld, oder was?“
Neal verdrehte die Augen. Er wurde immer nervöser. „Ist doch jetzt egal!“, fauchte er. „Such mir endlich eine Vene, sonst drehe ich durch!“
Wieder musste Gero den Kopf schütteln. „Nein, das mach ich nicht. So nicht!“
Er wandte sich wieder ab, konnte kaum glauben, dass sein Freund ihm jetzt auch noch Vorwürfe machte. Und es wurde sogar noch schlimmer, als er Neals drohende Worte vernahm: „Kleiner? Du tust jetzt, was ich sage, sonst werde ich sehr ungemütlich!“
Neals Stimme war lauter geworden. Aber Thilo war nicht da, der konnte sie nicht hören. Gero schluckte trocken, als er sich wieder umdrehte.
„Was soll das heißen?“, fragte er deutlich verunsichert.
„Ich könnte etwas tun, was ich später vielleicht sehr bereuen würde“, sagte Neal. Seine Augen flackerten vor Wut, und Gero wurde ganz mulmig zumute.
„Komm jetzt her!“, schrie Neal lauthals, so dass sich Gero augenblicklich in Bewegung setzte und vor dem Schreibtisch anhielt. Dann fasste er nochmals nach Neals Armen, begutachtete aber jetzt dessen Hände.
„Vielleicht am Handrücken?“, äußerte er sich zögernd. Seine Stimme zitterte. Er rechnete mit dem Schlimmsten und wollte Neal nicht weiter reizen. Er betrachtete die dünnen Venen zwischen Neals Fingerknöcheln und deutete ein Nicken an. „Das könnte zur Not gehen.“
Neal atmete auf und fuhr sich abermals über das Gesicht.
„Gut, dann mach, ich habe alles schon vorbereitet.“ Er stand auf und verschwand im Bad, wo er nach einer kleinen Spritze griff, die am Waschbecken lag. Gero stockte der Atem. Mit wackeligen Knien folgte er.
„Du willst doch nicht etwa, dass ich dir das spritze?“
Er konnte seine Befürchtung kaum aussprechen. Plötzlich suchte ihn eine starke Beklemmung heim.
„Wer sonst?“, erwiderte Neal. Er hatte sich inzwischen auf den geschlossenen Toilettendeckel gesetzt, die Spritze in der Hand haltend und sah Gero auffordernd an. Der war wie von Sinnen. Das konnte Neal doch nicht ernst meinen? Sicher nicht …
Aber Neal lächelte nicht und machte auch nicht den Anschein, als wolle er scherzen.
„Du weigerst dich also …“, sagte er nur nachdenklich. Es klang abfällig und boshaft.
Eine Tatsache, die Gero noch mehr zur Verzweiflung brachte.
„Das musst du doch verstehen!“, sagte er, um seine Haltung zu erklären. „Du bist mein Freund! Ich spritz dir doch kein Heroin, das dich kaputt macht! – Nein, das mache ich nicht!“
Zitternd stand er im Raum. Und er konnte sich nicht einmal fortbewegen, als Neal sich erhob und mit einem bösen Blick auf ihn zu kam. Panik stieg in Gero hoch. Er kannte diesen Blick.
„Nein, nicht schlagen, bitte!“ Er hob die Hände, um sein Gesicht zu schützen. Doch nichts geschah. Er vernahm nur Neals Stimme, die unerwartet sanft klang.
„Aber, Kleiner, ich würde dich doch niemals schlagen.“
Er strich über Geros Wange, packte ihn dann jedoch fest am Nacken.
„Wir lieben uns doch, oder?“
Gero nickte verkrampft. „Ja, ja … natürlich.“
„Na also“, entgegnete Neal. Er ließ Gero los. „Und was tut man nicht alles für den Menschen, den man liebt?“ Er schmunzelte. „Oder liebst du mich nicht mehr?“
„Doch!“, rief Gero sofort. Neals Blick schien ihn zu
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