Von Liebe und Gift
gezwungen hat er mich …“
Es war eine Weile vergangen. Gero hatte sich beruhigt. Er hatte mit Francis auf dem Bett gesessen und das ganze Erlebte noch einmal bis ins kleinste Detail erzählt. Die Tatsache, dass ihr Bruder inzwischen zu so grausamen Taten fähig war und zudem immer öfter die Beherrschung verlor, raubte ihr die letzte Hoffnung auf einen guten Ausgang der ganzen Geschichte. Als Gero dann noch berichtete, wie krank und gebrechlich Neal gewirkt hatte, konnte sie nur noch traurig den Kopf schütteln.
„Er wird draufgehen“, sagte sie ernst. „Ich merke das … und wir können nur zusehen. Zur Vernunft wird er nicht mehr kommen. Dafür ist es viel zu spät.“
Als Gero das hörte, spürte er großes Entsetzen, als wäre er nie zuvor auf einen ähnlichen Gedanken gekommen. War er wirklich noch immer in dem Glaube, dass alles wieder gut werden könnte?
„Du darfst so etwas schreckliches nicht denken“, sagte er leise.
„Kannst du mir dann bitte sagen, was wir noch tun sollen?“, erwiderte Francis. Sie lehnte sich im Bett zurück und schloss die Augen. Nicht wieder aufregen, nicht schon wieder …
Bevor sie weiterreden konnten, hörten sie, wie jemand die Wohnungstür aufschloss. Gero verkrampfte sich. Wie erwartet stand Neal plötzlich im Flur und sah ins Schlafzimmer. Er war unsicher auf den Beinen, seine Augen nur einen Spalt geöffnet. Er trug ein dunkles Hemd, welches jedoch nicht zugeknöpft, sondern nur unordentlich in seine Hose gestopft war. Die Arme waren jedoch bedeckt.
„Hätte ich mir ja denken könne, dass du hier bist …“, gab er von sich. Er kam ein paar Schritte näher, um sich an den Türrahmen zu lehnen. Er fixierte Gero eindringlich. „Wieso hast du mich drüben liegen lassen? Was hast du dir dabei gedacht?“
Seine Stimme war schwach und bleiern, wenn auch bestimmend. Immer wieder fielen seine Augenlider müde nach unten, doch er war klar bei Verstand, wusste, was er tat. Oder nicht?
Gero schwieg. Er konnte nur still auf die Bettdecke starren.
„Ist doch kein Wunder, dass er nicht bei dir sein wollte, so, wie du ihn behandelt hast“, erwiderte Francis stattdessen.
„Du hältst dich da raus“, sagte Neal. Er hatte Mühe sich nicht wieder aufzuregen. Im Grunde genommen war er auch viel zu schwach, um einen erneuten Streit anzufangen. Wieder sah er Gero auffordernd an. „Du kommst jetzt gefälligst rüber!“
Gero zuckte zusammen, als er die ermahnenden Worte hörte, doch sogleich spürte er Francis’ warme Hand auf seiner Schulter.
„Du musst nicht rübergehen, wenn du nicht willst“, sagte sie. „Niemand kann dich dazu zwingen.“
„Du sollst dich nicht einmischen, habe ich gesagt!“, äußerte sich Neal daraufhin. Er biss sich auf die Unterlippe, krallte sich am Türrahmen fest. Nein, er wollte sie nicht anschreien. Nicht sie … Eine ganze Weile schwiegen alle. Wie in Zeitlupe durchsuchte Neal seine Hosentasche nach Zigaretten. Er war verlangsamt, seine Motorik stockend und unsicher. Jeder Handgriff von ihm dauerte ungewöhnlich lange. Als er sich schließlich eine Zigarette angezündet hatte, sah er wieder auf.
„Und, was ist? Ich warte.“
Schließlich regte sich Gero. Er griff sich seinen Pullover und seine Hose, dann richtete er sich auf. Eigentlich hatte er damit gerechnet, die Nacht bei Francis zu bleiben. Dass Neal sich noch einmal blicken ließ, kam überraschend.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich rübergehe“, sagte er zu Francis gewandt. „Ich will nicht schon wieder Streit.“
Er erhob sich aus dem Bett, um sich anzuziehen.
Francis seufzte. „Lass dich doch nicht so behandeln“, fügte sie noch hinzu, doch es war zwecklos. Gero gab wie immer nach. Vielleicht war es diesmal die richtige Entscheidung.
Als er angezogen war, kam er mit gesenktem Haupt auf Neal zu. Der legte sofort einen Arm um ihn und küsste seine Stirn. „Warum nicht gleich so?“
In Geros Zimmer angekommen, schubste er ihn sanft auf das Bett.
„Und nun bin ich mal gespannt, was du als Ausrede hast“, begann Neal. „Wieso hast du mich allein gelassen? Wieso verkriechst du dich bei Francis?“
Gero schluckte. Er fühlte sich wie verurteilt und für schuldig erklärt. Händeringend suchte er nach Worten. „Ich war so erschüttert“, versuchte er zu erklären. „Ich konnte dich da nicht liegen sehen. Und du warst so unfair zu mir … hast mich gezwungen.“
Er stoppte. Unmöglich wollte er noch einmal an alles
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