Von Liebe und Gift
ja gar nicht“, entwich es ihm leise, kaum hörbar.
„Tja, er wird sie trotzdem bekommen“, erwiderte Dirk. Er lächelte zufrieden. „Es ist seine einzige Chance.“ Er sagte dies so gewissenhaft, und es kam derartig arrogant über seine Lippen, dass Gero noch einmal die Kraft aufbrachte, um gegenan zu gehen.
„Du meinst also, du kannst Neal so weit bringen?“, fragte er provozierend. „Du bist der Obertolle, ja? - Aber ich kenne Neal!“, fügte er hinzu. „Er ist stur!“
„Bei mir nicht“, antwortete Dirk. Er lehnte sich lässig gegen das Treppengeländer und kostete seine Überlegenheit rigoros aus. „Ich weiß, wie man Neal behandeln muss, damit er pariert. Du dagegen scheinst deinen Freund nicht gut genug zu kennen.“
Als Gero das hörte, schluckte er verkrampft. Er hatte keine Kraft mehr, sich gegen diese Anschuldigungen zu wehren. „Was soll das heißen?“, fragte er stattdessen unsicher.
„Du scheinst Neals Schattenseiten nicht zu kennen … oder du willst sie nicht sehen?“
Dirk zuckte mit den Schultern.
„Was denn für Schattenseiten?“, wollte Gero wissen. Allmählich verlor er die Kontrolle über sich. Was ging hier vor? Was wollte Dirk? Konnte der ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
„Wir erzählen uns immer alles!“, fügte Gero hinzu, aber es klang verzweifelt.
„Ach ja?“ Dirk hob erstaunt die Augenbrauen. „Hat Neal dir denn auch erzählt, was er so alles in London getrieben hat? Erzählt er dir denn auch immer, was er so nachts am Bahnhof treibt? Weißt du davon?“
„Hör auf!“, schrie Gero schockiert. „Neal macht nichts Schlimmes! Du bist ungerecht!“
Da beugte sich Dirk ein wenig vor und sah in Geros entsetztes Gesicht.
„Du musst noch viel lernen, Kindchen“, sagte er. „Schönheit allein reicht manchmal einfach nicht aus.“
Thilo streckte sich über den Wohnzimmertisch und wedelte mit der Hand das Aroma des Kuchens zu sich. Lächelnd sah er auf. „Mmh, der Kuchen sieht ja wieder lecker aus. Kann ich nicht schon mal ein Stückchen probieren?“
„Finger weg!“, ermahnte Francis. Sie trug heute einen dunklen Rock und ein ebenso dunkles Oberteil dazu, welches jedoch locker um ihre Hüften fiel – die erste Schwangerschaftsmode, die sie trug, denn allmählich wurden ihre Kleidungsstücke zu eng.
„Der Kuchen wird erst angeschnitten, wenn Gero da ist.“ Sie sah auf ihre kleine silberne Armbanduhr und stutzte sogleich. „Wollte er nicht schon längst hier sein?“
„Ach, wahrscheinlich sitzt er wieder in seinem Zimmer und heult“, sagte Thilo und verzog das Gesicht. Da wurde Francis sofort wachsam.
„Wieso sollte er weinen?“, fragte sie nach.
„Er ist doch ständig schlecht drauf“, erklärte Thilo.
„Das ist doch absoluter Quatsch!“, mischte sich Neal ein. Er erhob sich vom Sofa, um sich an der kleinen Hausbar zu bedienen.
„Na ja, Thilo hat schon recht“, gab Francis zu verstehen. Sie verteilte Teller und Servietten. „Gero ist in letzter Zeit wirklich nicht gut drauf. Er macht sich so viele Gedanken.“
Thilo nickte. „Er steht etwas neben sich zurzeit. Vor ein paar Tagen hat er sogar unseren Müll einfach im Flur liegen lassen. Was meint ihr, was ich mir deswegen wieder von Frau Dresen anhören musste.“ Er griff zu der Kaffeekanne und schenkte sich ein, erzählte dann weiter: „Und heute Morgen wirkte er auch schon wieder mies gelaunt, dabei ist heute sein Geburtstag … Ich musste sämtliche Anrufe für ihn abblocken, da er keine Lust auf Gratulationen hatte, sondern lieber in die Uni wollte.“
Francis seufzte, als sie das hörte. Geros Verfassung machte ihr wirklich Sorgen, doch sie hatte selbst auch kaum Zeit, um sich um ihn zu kümmern.
„Wir werden ihn gleich aufmuntern, wenn er kommt“, sagte sie und lächelte. „Neal, du kannst ihn bestimmt am ehesten aufheitern, oder?“
Fragend sah sie ihren Bruder an, der noch immer an der Hausbar lehnte, und nur müde mit dem Kopf nickte.
„Musst du denn jetzt schon trinken?“, fragte Francis, sichtlich unzufrieden. „Das finde ich echt nicht gut.“
„Bla, bla, bla“, antwortete Neal. Mit seinem Glas voll Whiskey ließ er sich wieder auf die Couch fallen. Unbemerkt steckte er sich eine blaue Pille zwischen die Zähne und schluckte sie mit Alkohol herunter. Wenn er seinen Kopf drehte, schmerzte sein Hals. Am Morgen musste er sich das Heroin in die Halsschlagader spritzen – eine unangenehme Sache, doch seine restlichen Venen gaben mittlerweile
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