Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
haben könnte.«
Sie nahm das Foto. » Ich glaube nicht, dass ich die schon mal gesehen habe.«
» Sind Sie sicher?«
» Nein, ich bin nicht sicher. Gucken Sie sich hier doch mal um.« Das taten wir. An fast jedem Tisch saßen ein oder mehrere Teenager. » Hier kommen täglich Hunderte von Jugendlichen rein. Ich würde nie sagen, dass dieses Mädchen nie hier war. Ich sage nur, dass es mir nicht aufgefallen ist.«
» Könnten Sie im Computer nachsehen, ob Sie einen Bibliotheksausweis auf jemanden mit dem Vornamen Carrie ausgestellt haben?«
» Haben Sie einen Gerichtsbeschluss?«, fragte Paige.
» Könnten wir einen Blick auf die Nutzerlisten der Computer von vor acht Wochen werfen?«
» Das wäre die gleiche Frage.«
Berleand lächelte ihr zu. » Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.«
» Ich Ihnen auch.«
Wir ließen Paige Wesson sitzen und gingen Richtung Ausgang. Mein Handy zirpte. Esperanza.
» Ich habe jemand in der Carver Academy erreicht«, sagte sie. » Sie haben keine Schülerin mit dem Vornamen Carrie.«
» Mist«, sagte ich. Ich bedankte mich bei ihr, legte auf und informierte Berleand.
Berleand fragte: » Irgendwelche Ideen?«
» Wir trennen uns und zeigen ihr Foto den Schülern hier«, sagte ich.
Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und sah in der Ecke einen Tisch mit drei männlichen Teenagern. Zwei trugen Mannschaftsjacken mit eingestickten Namen– der gleiche Stil, den ich früher auch auf der Livingston High School getragen hatte. Der dritte war der perfekte Privatschüler– das hervorspringende Kinn, der feine Knochenbau, das Polohemd mit Kragen, die teuren Khakis. Ich beschloss, bei ihnen anzufangen.
Ich zeigte ihnen das Bild.
» Kennt ihr die?«
Privatschüler ergriff das Wort. » Ich glaub, sie heißt Carrie.«
Volltreffer.
» Kennt ihr ihren Nachnamen?«
Alle drei schüttelten den Kopf.
» Geht sie bei euch auf die Schule?«
» Nein«, sagte Privatschüler. » Sie ist hier aus dem Ort. Glaub ich jedenfalls. Ich habe sie immer wieder mal gesehen.«
Mannschaftsjacke Nummer eins sagte: » Heiße Braut.«
Privatschüler mit hervorspringendem Kinn nickte zustimmend. » Und sie hat einen tollen Knackarsch.«
Ich runzelte die Stirn. Darf ich vorstellen: Win-Junior, dachte ich.
Berleand sah zu mir herüber. Ich nickte kurz, um ihn zu informieren, dass ich etwas hatte. Er kam zu uns.
» Wisst ihr, wo sie wohnt?«, fragte ich.
» Nein. Aber Kenbo hat sie gehabt.«
» Wer?«
» Ken Borman. Er hat sie gehabt.«
Berleand sagte: » Hat sie gehabt?«
Ich sah ihn an. Berleand sagte: » Oh. Er hat sie gehabt.«
» Wo finden wir Kenbo?«, fragte ich.
» Er ist im Kraftraum auf dem Campus.«
Sie beschrieben uns, wo der Kraftraum war, und wir machten uns auf den Weg.
37
Ich hatte mir Kenbo größer vorgestellt.
Wenn man einen Spitznamen wie Kenbo hört, dazu erfährt, dass er die Blonde gehabt hat und im Kraftraum ist, steht einem das Bild eines muskulösen Schönlings vor Augen. Zumindest in diesem Fall war das falsch. Kenbo hatte so extrem dunkles und glattes Haar, dass es eigentlich gefärbt und geglättet sein musste. Es fiel wie ein dichter, schwarzer Vorhang vor ein Auge. Er war blass, hatte dünne Arme und schwarze, polierte Fingernägel. Zu meiner Zeit nannten wir diesen Look » Gothic«.
Als ich ihm das Foto zeigte, sah ich, wie sich sein Auge weitete– ich konnte nur das eine sehen, das andere war von Haaren bedeckt. Er hob den Blick und musterte uns mit verängstigter Miene.
» Kennst du sie?«, fragte ich.
Kenbo stand auf, machte ein paar Schritte zurück, drehte sich um und sprintete dann plötzlich los. Ich sah Berleand an. Er sagte: » Sie erwarten doch nicht etwa, dass ich ihm jetzt hinterherlaufe?«
Ich lief los. Kenbo hatte das Gebäude verlassen und floh über den ziemlich weitläufigen Campus der Carver Academy. Die Schusswunde schmerzte, aber nicht so sehr, dass sie mich wirklich beeinträchtigt hätte. Es waren nur sehr wenige Schüler unterwegs, und Lehrer sah ich überhaupt nicht, trotzdem würde irgendjemand diesen Vorfall melden. Das war nicht gut.
» Warte!«, rief ich.
Das tat er nicht. Er bog nach links ab und verschwand hinter einem Backsteinbau. Er trug seine Hose modisch weit– zu weit–, und das half. Er musste sie immer wieder hochziehen.Ich kam näher. Ich spürte einen stechenden Schmerz im Knie, eine Erinnerung an meine alte Verletzung, und sprang über einen Maschendrahtzaun. Er rannte über einen Sportplatz mit
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