Von Menschen und Monstern
der Mensch einfach zu anmaßend wurde und die Ankunft der Bestien eine Heimsuchung oder Strafe war, die eine übernatürliche Kraft uns auferlegt hat, um unsere Kultur zu vernichten. Sie glaubten, daß Raumfahrt und Kernspaltung Vermessenheit waren.«
»Das glaubten sie? Wieso?«
Rachel ging zur Käfigwand und rieb ihre Stirn an der glatten, kühlen Oberfläche. Sie sah sehr müde aus.
»In verschiedener Hinsicht, Eric. Du darfst es dir aussuchen. Zuerst einmal vom religiösen Standpunkt aus. Es ist durchaus möglich, daß es eine übernatürliche Kraft gab – oder gibt –, die ein solches Urteil fällt. Und wenn du bedenkst, wie unbedeutend, wie lächerlich winzig wir Menschen heute aussehen, wenn wir durch die Behausungen der Bestien krabbeln, dann befällt einen wirklich der Verdacht, daß wir damals in unserer letzten Blütezeit tatsächlich zu dreist waren. Wenn du mich jetzt fragst, warum wir erniedrigt und die Bestien erhöht worden sind, um in der Sprache unserer Väter zu reden, muß ich dir ehrlich sagen, ich weiß es nicht. Gehen wir aber von der Annahme aus, daß eine übernatürliche Kraft existiert, dann müssen wir auch einräumen, daß ihre Logik sich mit unserer keineswegs decken muß.«
Eric stand auf und stellte sich zu ihr. Er lehnte sich mit dem Rücken zur Wand, ohne den Blick von Rachel zu wenden. Ihre Weltanschauung faszinierte ihn ebenso wie ihr hübscher Mund. »Genausowenig müssen sich die Bestrebungen dieser Macht mit jenen der Bestien decken«, wandte er ein.
»Möglich. Was wissen wir denn viel über die Bestien und über ihr Verhalten untereinander? Vielleicht behandeln sie ihre Artgenossen durchaus anständig und rücksichtsvoll. Wie sollen wir das jemals erfahren? Wir kennen sie so wenig, wie sie uns kennen.«
»Praktisch sagst du aber doch nur, daß sie anders als wir sind. Das heißt noch lange nicht, daß sie auch besser sein müssen. Und wenn die übernatürliche Kraft das angenommen hat, dann möchte ich ihr mit Nachdruck widersprechen.«
Rachel betrachtete ihn zärtlich. »Das sieht dir ähnlich, Eric. In dir vereinigen sich sämtliche guten und schlechten Eigenschaften des Mannes. Der zweite Grund ist moralischer Natur. Man könnte sagen, daß die Heimsuchung durch die Bestien die Antwort auf unseren chronischen, berechtigten Schuldkomplex ist.«
»Berechtigt? Was haben wir denn verbrochen?«
»Wie gesagt, ich zitiere nur verschiedene Überzeugungen, die alle ein Körnchen Wahrheit enthalten. Solange der Mensch die Erde beherrschte, fühlte er sich schuldig. Das findest du sowohl in der Religion als auch in der Literatur: beide triefen von Schuldgefühlen. Vergessen wir die Legenden, und konzentrieren wir uns auf die nachweisbaren Handlungen des Menschen, dann müssen wir sagen, daß er allen Grund hatte, von Gewissensbissen gequält zu werden. Er hat seine Mitmenschen versklavt, gequält und gedemütigt. Er hat Nachbarkulturen ausgerottet und aus den Bausteinen ihrer Tempel und Hochschulen seine Aborte gebaut. Männer und Frauen haben einander jede erdenkliche Gemeinheit angetan und sich am Leid des anderen ergötzt. Eltern haben ihre heranwachsenden Kinder in Fesseln gehalten und Kinder ihre Eltern verstoßen und dem Tod überantwortet. Und das alles geschah innerhalb der eigenen Art des Homo sapiens.«
»Der Mensch ist ein Tier, Rachel. Seine oberste Pflicht heißt Selbsterhaltung.«
»Der Mensch ist weit mehr als das und hat vielerlei Pflichten. Wenn ein Tier das andere verschlingt und damit eine Gattung ausrottet, spricht man von der Auslese der Natur. Tötet jedoch der Mensch aus Not oder reiner Lust am Töten, dann weiß er genau, daß er damit ein Verbrechen begangen hat. Ob diese Einstellung richtig ist oder nicht, ist unwesentlich. Sein Gewissen bezichtigt ihn des Verbrechens. Das ist eine Typisch menschliche Erkenntnis, die sich nicht achselzuckend mit dem Hinweis auf die Evolution abtun läßt.«
Er begann im Käfig auf und ab zu wandern. »Also gut«, sagte er schließlich und blieb stehen. »Der Mensch hat also seit Urbeginn seine Brüder erschlagen. Angenommen, ich anerkenne diese Tatsache. Was dann?«
»Dann sieh dir die Liste seiner Verbrechen etwas näher an. Was tat er denn mit den anderen Gattungen, die er seine Neffen nannte? Ich habe dir von den Tieren erzählt, die er für seine Zwecke zähmte, Ochse und Esel, Pferd, Hund, Katze und Schwein. Weißt du, was sich hinter dem Wort ›Domestizierung‹ verbirgt? Kastration und Ausbeutung. Er
Weitere Kostenlose Bücher