Von Namibia bis Südafrika
über die Schotterstraße, vor dem die Reste eines Landrovers lagen. Das Auto musste mit hoher Geschwindigkeit herangerast sein, bevor die Eisenstange der Fahrt ein Ende bereitet hatte.
Wir betraten mit schlechtem Gewissen den Posten. Schließlich führten wir noch immer genügend Gaskartuschen mit uns, um zu jeder Zeit und überall ein Feuerwerk zu veranstalten. Da wir uns einig waren, dass keiner davon wissen musste, hatten wir die Ausrüstung über unseren Gasvorrat gebreitet. Die Frage nach gefährlichen Gütern und anderen zu deklarierenden Dingen beantworteten wir mit einem freundlichen „Wir doch nicht.“ Man muss nett sein an einer Grenze. Das sah auch Rolf ein und ließ seinen Bibliotheksausweis stecken.
„Sagen Sie mal“, fragte ich einen der Soldaten, nachdem wir die Stempel im Pass hatten, „was ist denn da passiert?“
„Es wollte jemand über die Grenze“, antwortete er.
„Hat sich der Fahrer verletzt?“
„Nein, nein. Der sprang aus dem Auto und rannte in die Wüste.“
Was für eine Räuberpistole.
„Passiert so was häufiger?“
Er lachte. „War das erste Mal. Ganz ehrlich.“
Wie sagt der Schwarzwälder? Am Arsch hängt a Gutsle. Für Sprachunkundige frei übersetzt: Ein gewisser Zweifel am Wahrheitsgehalt ist stets angebracht.
Dann öffnete sich der Schlagbaum und wir betraten Südafrika durch die Hintertür. Ein Soldat mit verspiegelter Sonnenbrille winkte uns lässig weiter und ich gab Gas, bevor Rolf seinen Blutspendepass zücken konnte.
Südafrika ist ein Land der extremen Gegensätze. Da gibt es das Südafrika, welches sich nach einem Strudel der Ereignisse seiner weißen rassistischen Diktatur entledigt hat. Da ist das Südafrika mit seiner Völkervielfalt, wie sie kaum ein anderes Land dieser Erde bietet – ein Schmelztiegel der Kulturen, die sich heute, nach langer Zeit der Unterdrückung, zu einer Nation zusammen finden. Es gibt das fußballbegeisterte Südafrika, und das Südafrika der Touristen. Sie reisen in die Nationalparks, folgen der berühmten Gartenroute, besuchen die Weingegend um Paarl und natürlich Kapstadt. Südafrikas Perle am Atlantik zählen viele mit Sydney, San Francisco und Toronto zu den schönsten Städten der Welt. Und es gibt das Südafrika der Wüsten: Die Kalahari und die Karoo beeindrucken mit unendlichen Weiten, außergewöhnlicher Trockenheit, einer bizarren Flora und Fauna, und Menschen, die sich diese lebensfeindlichen Regionen freiwillig oder unfreiwillig als Lebensmittelpunkt wählten. Es gibt noch immer das Südafrika der Apartheid, über das selten geschrieben wird. Es gibt das Südafrika der Aids-Epidemie, mit Regionen, in denen von zehn Menschen acht am Virus sterben werden, so dass ganze Generationen verloren gehen. Dann gibt es das Südafrika der Stille: Landschaften, in denen weder Menschen noch Tiere leben, in denen es so ruhig ist, dass man sein Blut in den Ohren rauschen hört. Es gibt das Südafrika der Zäune, denn wie in Namibia befinden sich große Teile des Landes im Privatbesitz. Und es gibt das kriminelle Südafrika. Nach einer Studie der Vereinten Nationen hat das Land nach Kolumbien die zweithöchste Verbrechensrate der Welt, trotz aller Bemühungen wegen der Fußball-Weltmeisterschaft. Morde sind an der Tagesordnung, und pro Jahr werden über 40 000 Frauen und Mädchen vergewaltigt, so viele wie nirgendwo sonst auf der Erde. Jeder, der einmal in Johannesburg, Kapstadt oder einer anderen größeren Stadt nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs war, weiß, wie südafrikanische Städte nachts ihr Gesicht ändern. Tagsüber sieht man dann wieder das Südafrika der lachenden Menschen, die wissen, dass sie das Schlimmste hinter sich haben, und die an eine Zukunft glauben, die ihnen gehört.
All diese Facetten Südafrikas wollte ich kennen lernen. Wir begannen mit der Wüste. Von der Grenzstation fuhren wir nach Askam weiter, um dort noch einmal die Khoi San zu treffen. Dieses Gebiet nennt sich Kgalagadi Transfrontier Park und ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Mensch durch aus in der Lage ist, schlaue Dinge zu tun, wenn er will. Der Park ist 36 000 km 2 groß und das einzige grenzübergreifende Naturschutzprojekt ganz Afrikas. Südafrika, Botsuana und Namibia arbeiten Hand in Hand mit dem Ergebnis, dass in der Zwischenzeit durch das Wegfallen der Zäune viele Wildtiere ihre alten Migrationsrouten wieder aufnehmen konnten. Das war während des Apartheidregimes noch ganz anders. Da wurde versucht, in einer der
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