Von Namibia bis Südafrika
Garten. Roger balancierte auf einem großen Gummiball, ähnlich dem, den ich zuhause am Schreibtisch benutze. Willkommen im Club der Rückengeschädigten.
„Wo zwickt's denn?“, fragte ich.
Roger verzog das Gesicht. Auch das kannte ich. In unserer Clubsprache heißt das: überall.
„Die Khoi San kennen ein Mittel gegen Rückenschmerzen: die Teufelskralle“, sagte ich. „Die Nachfrage ist riesig. Weshalb macht gerade Hoodia so viele Schlagzeilen?“
„Für die Khoi San ist der Busch tatsächlich eine große Apotheke“, antwortete Roger. „Deshalb ist der Hoodia- Fall ein spezieller. Teufelskralle wächst auch in anderen Gegenden, Hoodia nur dort, wo die Khoi San seit 30 000 Jahren leben. Daher stellt sich die Frage, ob man daraus eine Rechtsgrundlage ableiten kann. Wenn ja, ergeben sich für die Buschleute Rechte auf die Schätze ihres Landes, von denen sich andere bedienten und bedienen. Sobald so etwas in einem anderen Land der Welt passiert, zum Beispiel mit Öl, gibt es Krieg. Schauen wir uns den Irak und Amerika an. Vielleicht sollten wir uns nicht wundern, dass vor allem amerikanische Pharmakonzerne in diese Sache verwickelt sind. In den USA herrscht da häufig eine andere Rechtsauffassung…“
„… die von keinem internationalen Gericht anerkannt wird.“
Roger lächelte. „Deshalb konnten wir auch ein paar Erfolge erzielen. 1998, als es uns gelang, den Buschleuten einen kleinen Teil ihres Siedlungsgebiets zu sichern, interessierte sich die Welt noch nicht dafür. Das änderte sich, als Hoodia von einem Unternehmen untersucht und patentiert wurde. Diese Meldung ging um den Globus, weil das Unternehmen die Sache nicht mit den Buschleuten abgesprochen hatte. Ich wurde als Anwalt der Khoi San um Hilfe gebeten. Wir drohten, einen internationalen Prozess gegen zwei Firmen anzustrengen.“
„Pfizer und Phytopharm?“
„Pfizer in den USA, Phytopharm in England. Es gelang uns, eine Einigung zu erzielen. Sie sichert den Buschleuten Tantiemen, sobald das Hoodia-Mittel auf den Markt kommt.“
„Aber es werden bereits abertausende Hoodia-Produkte im Internet verkauft. Müssten die Khoi San nicht auch dafür was bekommen?“
„Stimmt. Doch wer so freizügig mit seinem Wissen um geht wie die Khoi San, darf sich nicht wundern, wenn es gestohlen wird. Mittlerweile sind sie misstrauisch geworden und lernen, keinem mehr zu trauen. Die Hoodia-Anbieter haben sich die Rechte am Wissen der Khoi San illegal angeeignet und verkaufen ihre Produkte unrechtmäßig. Deshalb ist die Pflanze in der Kalahari fast ausgerottet.“
„Hoodia gibt es vor allem im Internet. Unternehmen Sie etwas dagegen?“
„Das Internet ist nicht zu kontrollieren. Außerdem ist noch immer unklar, ob Hoodia tatsächlich das Schlankheitsmittel der Zukunft ist. Deshalb muss die Buschmannnahrung wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse offen gelegt werden. Erst danach können wir klare Regelungen vereinbaren, die dafür sorgen, dass die Khoi San nicht länger über den Tisch gezogen werden. In beiden Punkten steht die Pharmaindustrie in der Pflicht. Aber auch der Verbraucher: Es kann ihm nicht gleichgültig sein, dass er für teures Geld Hoodia kauft, die zum einen gestohlen wurde und zum anderen vielleicht gar nicht wirkt.“
„Mit Ihrer Arbeit“, sagte ich, „machen Sie sich keine Freunde. Fühlen Sie sich eigentlich sicher?“
Wieder lächelte Roger Chennels. Er wägte seine Antwort ab. Dann sagte er: „Im Augenblick schon.“
Nach einer Studie der evangelischen Landeskirche stieg der durchschnittliche Medienkonsum auf 10,5 Stunden pro Tag. Spitzenreiter ist das Fernsehen mit 224 Minuten Konsum pro Tag, vor dem Radio mit 222 Minuten. Dass die Nutzungsdauer des Internets rasant steigt, überrascht keinen. Bereits heute wird im Netz für 35 Milliarden Euro Pornographie erworben. Die Hälfte aller Kinder gelangt beim Surfen auf Pornoseiten und 60 Prozent der Erwachsenen, die zur Eheberatung gehen, geben als Gründe Flirt-Lines, Chatrooms und Partnerbörsen an. Neben der Sexindustrie profitiert vor allem die Pharmaindustrie vom Boom im Netz: Die Onlineverkäufe pharmazeutischer Produkte sind in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass die Apotheke um die Ecke ums Überleben kämpft. Hoodia – oder Produkte, auf denen Hoodia steht, auch wenn anderes drin ist – gehört zu den meistverkauften Online-Heilmitteln.
Um einen Hoodia-Internethändler zu einem Treffen zu bewegen, war mehr als ein Telefongespräch nötig
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