Von Namibia bis Südafrika
Füße perforierten. Uns blieb nur die Flucht, und die führte direkt in die Oysterbar. An der Tür hing das Schild „Drink of the Night – Rusty Nails“, was uns hätte zu denken geben müssen. Tat es aber nicht. Wir nahmen in einer schummrigen Ecke Platz, bestellten eine Runde Rostige Nägel, und schauten uns um: Südafrika ist ohnehin ein Schmelztiegel, und zusammen mit den Touristen aus aller Welt ergibt das ein ganz besonderes Flair. Dieses wiederum hatte den Barmann zu seiner Kreation Rusty Nails angeregt. Er kippte alles rein, was flüssig war und mindestens 60 Prozent Alkohol hatte. Nach dem dritten Glas fühlte ich mich tatsächlich, als hätte ich rostige Nägel verschluckt. In diesem Zustand macht man die komischsten Sachen. Ich dachte an die holde Weiblichkeit, ich dachte an Stilettos, ich zog mein Telefon heraus und wählte die Nummer von Beate, meiner Frau. Wer lange Zeit unterwegs ist, sollte so etwas nicht tun. Ein Anruf zuhause weckt nur die Sehnsucht, und die ist kein guter Reisebegleiter. Meinem Kumpel Rostiger Nagel war das aber egal, er haute für mich die Nummern in die Tasten und als sich die Stimme von Beate meldete, war ohnehin alles zu spät.
Ich frage gar nicht, wie es in Uganda gewesen war. Ich sagte nur: „Setz dich in den nächsten Flieger und komme nach … Moment, wo sind wir?“
Rolf, der nach dem ersten Glas klugerweise auf Bier umgestiegen war, sprang in die Bresche.
„Oysterbar, Kapstadt“, sagte er.
„Komm in die Oysterbar, Kapstadt“, sagte ich.
Die Leitung rauschte. Dann hörte ich die Stimme meiner Frau.
„Ist das dein Ernst?“, fragte sie.
Ich winkte den Kellner herbei, bestellte einen weiteren Rostigen Nagel und sagte: „Na klar.“
„Dann“, war die Antwort, „ mach ich das.“
Es knackte in der Leitung und sie war weg. Dafür stand ein neuer Rusty Nail vor mir. Wir stießen an, wir tranken. Um uns herum wogte vergnügungssüchtiges Volk, aus den Lautsprechern plärrte eine Musik mit viel Bass und wenig Melodie und vor mir sah ich Beates Gesicht in den endlosen Weiten der Karoo, die ich ihr so gern gezeigt hätte. Ein paar Worte am Telefon, und das Verlangen hatte mich voll im Griff.
Nach einem weiteren rostigen Nagel sagte Rolf: „Vielleicht solltest du nochmals anrufen. Nicht, dass sie es ernst meint.“
Ich wählte die Nummer. Beim zwanzigsten Klingeln nahm Beate ab.
„Warum dauert das so lange?“, fragte ich.
„Ich packe. Hab schon den Flug gebucht. Was werden wir tun?“
Was soll ich sagen? Meine Erschöpfung, meine Kopfschmerzen – alles war wie weggeblasen! Ich hob meinen Rusty Nail, prostete der Welt zu und sagte: „Wir machen Urlaub!“
Beate und ich machen nie Urlaub, aber das fiel mir erst später wieder ein. Obwohl wir ständig unterwegs sind, kommt dieses Wort bei uns nicht vor. Urlaub klingt für mich nach organisierter Langeweile, nach Ballermann und 40 Kilometer Stau zwischen München und Kufstein. Dabei kann es auch anders sein, und als ich klein war, war es auch immer anders gewesen. Einmal im Jahr packten meine Eltern das Auto, steckten uns Kinder hinein und wir fuhren nach Süditalien oder Spanien. „Auf einer Arschbacke“ riss mein Vater die 1400 Kilometer herunter, während meine Mutter schlief und wir Kinder uns auf dem Rücksitz die Haare ausrupften. Am Urlaubsort bezogen wir einen Bungalow und die nächsten paar Wochen hielten wir uns am Strand auf. Meine Eltern schätzten es, von morgens bis abends in der prallen Sonne zu brutzeln und auch mir war das der liebste Platz. Dort fand ich Freunde, die zwar eine andere Sprache sprachen als ich, mit denen ich mich trotzdem bestens verstand. Wir spielten, schwammen, tauchten; ich fand die große Urlaubsliebe und schwor ihr ewige Treue, die so lange hielt, bis der Regen in Deutschland die schönen Erinnerungen weggeschwemmt hatte. Mit etwas Glück war dann der nächste Urlaub nicht mehr weit.
All das änderte sich, als ich das erste Interrail-Ticket kaufte. Ich war 16 Jahr alt und hatte plötzlich ganz Europa und halb Nordafrika als Reiseziel zur Auswahl. Natürlich wollte ich alles sehen und auf einmal wurde der Urlaub zur Maloche. Wie viele Interrailer hetzte ich durch den Kontinent, mit dem Ergebnis, dass ich außer Bahnhöfen und Nachtzügen kaum etwas zu Gesicht bekam. In Venedig war ich eineinhalb Stunden, in Budapest drei und in Bordeaux zwei. Hin und wieder traf ich Reisende, die es cooler anpackten, sich treiben ließen. Sich treiben zu lassen ist eine
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