Von Namibia bis Südafrika
kultiviert doppelt so schnell wächst wie in der freien Natur?“ Kersten schnitt ein paar Pflanzen ab, legte sie in den Eimer. Dann stand er lange Zeit schweigend da, als müsse er über das Gesagte nochmals nachdenken.
„Wie immer Hoodia funktioniert“, sagte er endlich, „die Pflanze ist ein Wunder. Obwohl sie so gut wie kein Wasser bekommt, bildet sie an der Schnittstelle in kürzester Zeit Ableger. Das macht ihr so schnell keiner nach.“
Viele Fragen, wenige Antworten: So stellt sich die Situation im Fall Hoodia dar. Allein in Deutschland sind 55 Prozent aller Frauen und 67 Prozent der Männer übergewichtig. Kein Wunder, dass es viele Menschen gibt, die gerne zu einem funktionierenden Schlankheitsmittel aus der Natur greifen würden. Vor allem im Internet ist das Angebot an Hoodia- Produkten unüberschaubar.
„Wenn in allen Pillen, Kapseln und Dragees, auf denen Hoodia steht, Hoodia drin wäre“, sagte Kersten, „müsste es riesige künstliche Kulturen geben oder die Wüste voller Pflanzen stehen. Danach sieht es aber nicht aus, oder?“
Kersten hatte Recht. Wir fuhren nördlich der Zederberge in weiten Bögen durch die Karoo. Immer wieder hielten wir an, weil er eine Stelle kannte, an der Hoodia wuchs. Doch so viele wie auf Gansfontein bekamen wir nirgends mehr zu Gesicht. Dagegen erreichten wir häufig Plätze, an denen gar keine Hoodia mehr stand, weil Wilderer die einjährige Schonpause nicht eingehalten hatten.
„Was steckt in den Pillen?“, wollte ich wissen.
„Wer weiß?“, antwortete Kersten. „Eselsmist vielleicht? Ich kenne genügend Leute, denen ist völlig egal, was sie verkaufen. Hauptsache, der Rubel rollt.“
Und das tut er in der Tat. Obwohl kaum jemand weiß, was sich hinter P57 verbirgt, preisen Hoodia- Verkäufer diese Formel als Heil bringendes Elixier an. Dabei ist nicht einmal klar, ob eine oder mehrere Komponenten den appetithemmenden Stoff ausmachen. Dazu kommt, dass die Khoi San mit Hoodia nicht nur ihren Hunger, sondern auch ihren Durst unterdrücken. Deshalb können Hoodia-Produkte gefährlich für Menschen auf Diät sein.
Seit wir mit Kersten unterwegs waren, unterwarf ich mich dem Selbstversuch. Ich aß Hoodia und verzichtete auf unsere leckeren Stullen. Doch als Kersten an unserem letzten Abend einen rubinroten Cabernet Sauvignon aus Franschhoek entkorkte, der unbestrittenen Gourmet-Hauptstadt Südafrikas, konnte ich nicht länger widerstehen. Wir saßen um das Feuer, über uns ein Sternenhimmel, wie er nur noch an Orten dieser Welt zu sehen ist, die keine Luftverschmutzung kennen. Es war empfindlich kühl geworden. Ich war froh über meinen warmen Pullover, während Kersten, unbeirrt in kurzen Hosen, von seinen spannenden Fahrten erzählte. Häufig war er mit einer Ölpresse unterwegs, um gleich vor Ort frisches Öl aus wertvollen Heilpflanzen zu gewinnen. Ich beneidete ihn um seinen Beruf – und um sein Zuhause in Hermanus, einem ehemaligen Fischerdorf am Atlantik, in dem man vom Land aus Wale beobachten kann. Natürlich kannte Kersten den berühmten Walschreier von Hermanus, der laut rufend durch den Ort geht, wenn die Tiere eintreffen. Früher war das ein hoch angesehener Beruf, heute ruft der Walschreier nur noch für die Touristen.
Am nächsten Morgen brachen wir zeitig auf. Obwohl er ständig Ausschau hielt, hatte Kersten keine Sutherlandia entdeckt.
„Sie ist eine Pionierpflanze und wächst nur in Gegenden, in denen es keine Konkurrenz gibt“, erklärte er. „Bricht zum Beispiel irgendwo Feuer aus, gehört Sutherlandia zu den ersten Pflanzen, die sich danach ansiedeln. Ziehen andere nach, verschwindet sie wieder. Eine echte Pionierin also, eine Nomadin unter den Heilpflanzen.“
Aus diesem Grund ist sie selbst für traditionelle Heiler schwer zu finden. Dort, wo man sie das letzte Mal angetroffen hatte, war sie heute nicht mehr.
Die Karoo ist von Bergen umgrenzt, die Regenwolken abhalten; deshalb ist sie so trocken. Gegen Mittag entdeckte ich die ersten Ausläufer der Hexrivierberge, die wie die Bokkeveldberge im Nordwesten als Wolkenbremse fungieren. Hinter den bis zu 2 300 Meter hohen Gipfeln liegt die fruchtbare Weingegend um Wellington, Paarl und Stellenbosch.
„Da!“, rief Kersten plötzlich. „Wir haben Glück!“
Ich bremste. Direkt am Straßenrand stand ein grünes Gebüsch. Es war 1,50 Meter hoch, sah den Rooibos- Wedeln auf den ersten Blick ähnlich, und einen zweiten Blick hätte ich der unscheinbaren Pflanze wahrscheinlich nicht
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