Von Namibia bis Südafrika
Lebenskunst, die gelernt sein will, und dafür benötigte ich noch viele weitere Interrail-Touren. Die letzte brachte mich nach Genua, dort auf ein Schiff nach Sardinien und an einen Strand, der von Althippies und Aussteigern bevölkert war. Ich blieb den ganzen Sommer lang. Wir spielten, schwammen, tauchten, kloppten uns mit den Carabinieri, die unsere Lebensweise nicht mit den Gründsätzen der katholischen Kirche vereinbar sahen; ich fand die große Urlaubsliebe und schwor ihr ewige Treue, die so lange hielt, bis der Regen in Deutschland… .
Doch damals spürte ich: Irgendwie war ich angekommen. Zum ersten Mal hatte ich Kräften vertraut, die stärker sind als wir, hatte mich einfach treiben lassen. Etwas Besseres kann man nicht tun. Ich bestellte einen letzten Rusty Nail, und dann noch einen letzten und schließlich einen allerletzten. Am nächsten Tag verabschiedete ich mich von Rolf und Bigy, die auf eigene Faust eine Runde durchs Land drehen wollten. Als ich Beate am Flughafen in die Arme schloss, schienen Jahre seit unserem Abschied vergangen. Sie war schließlich in der Zwischenzeit in Uganda gewesen und hatte wie ich eine Menge zu erzählen. Doch dazu kam es nicht. Beate küsste mich und sagte: „Für jemand, der gerade aus der Wüste kommt, bist du echt bleich um die Nase.“
Was sollte ich ihr von den Nachwirkungen rostiger Nägel erzählen? Ich führte sie zum Bus und fragte:
„Hast du deinen Bikini dabei?“
„Klar.“
„Dann lass uns zum Strand fahren.“
„Große Badewanne“ nennen die Einheimischen die Küstenregion zwischen Port Elizabeth und Durban. Das ganze Jahr über ist das Wasser des Indischen Ozeans warm, die Strände sind superbreit, ewig lang und meistens einsam. Einer davon erstreckte sich hinter dem Örtchen Hamburg, welches seinen Namen deutschen Veteranen aus dem Krimkrieg von 1857 verdankt. Denen hatte man für ihre Kriegsdienste Land versprochen. So kamen sie nach Südafrika und besiedelten die Gegend um East London, wo der Fluss Buffalo in den Indischen Ozean mündet. Im Rahmen der Städteumbenennung gehört East London seit dem Jahr 2000 zur Gemeindeverwaltung von Buffalo City. Hamburg, Berlin und Potsdam – alles Ortschaften ehemaliger Krim-Veteranen – haben ihre Namen noch behalten.
Wir badeten ausgiebig, machten einen Strandspaziergang fünf Kilometer in die eine Richtung, fünf Kilometer in die andere, ohne dass wir eine Menschenseele trafen. Wir sprachen über unsere Erlebnisse. Beate war in Uganda in einem Aids-Waisendorf gewesen, in dem ein paar Hundert Kinder lebten.
„Die Eltern sind tot, die Kinder alle HIV-positiv“, sagte sie.
Was sie gesehen hatte, ließ sie nicht los. Das konnte ich gut verstehen: Als ich klein war, wohnten wir in einer Wohnung ohne warmes Wasser und mit nur einem Kohleofen. Meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, uns Streithähne auseinander zu halten, während mein Vater auf den Straßen Europas unterwegs war, um Geld zu verdienen. Wir hatten nicht viel, aber wir hatten die Chance, aus unserem Leben etwas zu machen. HIV-positive Waisen haben das nicht.
„Was können wir tun?“ fragte ich.
„Ich weiß noch nicht“, sagte Beate, „aber ich werde es heraus finden.“
Am Abend bestiegen wir einen motorisierten Kahn, der neben einem Hausboot auf dem Bushmans River vor Anker lag. Sein Besitzer hieß John Miles und er versprach uns eine Fahrt flussabwärts bis zur Mündung in den Indischen Ozean. Wir nahmen Platz, John warf uns zwei Dosen Bier zu, und los ging's.
Eine warme Brise wehte, links und rechts glitten Sandbänke vorbei, auf denen Vögel brüteten. Das schmeckte nach Urlaub, ganz klar, und als sich Beate gegen mich lehnte, dachte ich ernsthaft darüber nach, meine Einstellung zu diesem Wort zu überprüfen. Ich schwärmte ihr von der Karoo vor und wie wir am Ende die seltene Heilpflanze Sutherlandia gefunden hatten.
„Klingt ja interessant“, bemerkte Beate.
Wenn meine Frau „klingt ja interessant“ sagt, führt sie immer was im Schilde.
Wir erreichten die Mündung des Bushmans River. Dort, wo Süß- und Salzwasser aufeinander trafen, stieg milchig weiße Gischt auf. Möwen kreisten und stießen kreischend ins Meer hinab. Der Kahn tanzte auf den Wellen und ich spürte, dass dies der Ort war, an dem man Lebenspläne über Bord schmeißt und Neues beginnt.
„Sutherlandia kann also angebaut werden?“, fragte Beate.
„Ja. Ist aber schwierig.“
„Freu mich darauf, das zu sehen.“
„Ich dachte, wir
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