Von Namibia bis Südafrika
geschenkt.
Kersten brach ein Stückchen ab, reichte es mir und sagte: „Probier mal!“
„Nach dir“, wollte ich sagen, doch er kostete schon selbst und verzog das Gesicht. Gegen den Geschmack der Sutherlandia war Hoodia süßes Naschwerk.
„Wenn bitter hilft“, sagte ich, „muss sie enorme Kräfte haben.“
„Die traditionellen Heiler aller Volksgruppen nutzen Sutherlandia seit Jahrhunderten“, sagte Kersten. „Bei schweren Erkrankungen wie Krebs – aber auch gegen Depressionen und Magenverstimmungen. Sutherlandia ist eine Art Generalkur. Doch es war ein weißer Südafrikaner, der sie zum ersten Mal gegen den HI-Virus einsetzte.“
„Gegen Aids?“, fragte ich. Davon wusste ich nichts.
„Triff dich mit Nigel Gericke, wenn du nach Kapstadt kommst“, sagte Kersten. „Er setzt Sutherlandia im KwaZulu-Natal ein, wo 80 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv sind. Und fahr bei Uli Feiter vorbei. Dem gelang es, sie zu kultivieren.“
Ich betrachtete die Pflanze. Bei Krebs, Depressionen und Aids einsetzbar, dachte ich. Dabei sah sie aus wie ein x-beliebiger Grasbüschel.
Offenbar konnte Kersten meine Gedanken lesen. Er lachte. „Die spektakulärsten Heilpflanzen“, sagte er, „kommen ganz gewöhnlich daher. Bei Menschen soll's übrigens ähnlich sein.“
Ich freute mich auf Kapstadt. Nach unseren wochenlangen Touren durch Steppe, Wüste und Einöde sagte selbst der Nomade in mir, dass gegen eine anständige Dusche und ein ordentliches Bett nichts einzuwenden sei. Als wir uns aber der Stadt näherten und zwischen Somersetwes und einem Vorort mit dem verlockenden Namen Strand drei Stunden im Stau schmorten, hätte ich am liebsten umgedreht, um zurück in die Einsamkeit zu gelangen.
Als der Kaufmann Jan van Riebeeck im Auftrag der Holländisch-Ostindischen Handelskompanie 1652 in der Table Bay landete, um einen Kiosk für Schiffsleute auf dem Weg nach Indien aufzumachen, hatte er keinen Schimmer, dass sich ein paar Jahrhunderte später eine Stadt mit über einer Million Einwohner zwischen Tafelberg, Signal Hill und Lion's Head zwängen würde. Doch die Siedlung wuchs und wuchs, vor allem zu jener Zeit, als sie der Mittelpunkt der britischen Kapkolonie war. Seit dem Jahr 2006 leben erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in Städten als in ländlichen Gebieten. Während eine Stadt wie London zur Zeit der industriellen Revolution 100 Jahre brauchte, um ihre Einwohnerzahl zu versiebenfachen, wachsen Städte wie Dhaka in Bangladesch, Bombay in Indien oder Laos in Nigeria um das 40-fache in der Hälfte der Zeit. In den Top Ten der so genannten Mega-Städte (mehr als zehn Millionen Einwohner) finden sich mit Ausnahme von New York und Tokio nur Städte aus dem Süden unserer Welt: Sie liegen in Asien, in Mittel- und Südamerika und in Afrika. Schätzungen der UNO sagen voraus, dass bis zum Jahr 2050 90 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Auch in Südafrika macht sich die Landflucht überall bemerkbar. Die Slums wuchern in alle Richtungen. Nyanga, das größte Elendsgebiet von Kapstadt, befindet sich gleich hinter dem Internationalen Flughafen. Die meisten Besucher bekommen von ihm nichts mit, denn die historische Innenstadt lockt mit einer Unmenge an Attraktionen. Da gibt es das House of Parliament und die City Hall, das berühmte Rathaus aus dem Jahr 1905 mit seinem Fassadenmix aus italienischer Renaissance und englischem Kolonialbaustil. Nicht weit davon entfernt steht das Castle of Good Hope, das älteste Gebäude Südafrikas aus dem Jahr 1666. Den bekannten rot leuchtenden Uhrturm findet man an der Victoria and Alfred Waterfront, zu der man besser mit dem Taxi fährt, weil das Viertel rund um den Bahnhof zu den gefährlicheren Stadtbezirken zählt.
Ich steuerte unseren Bus über die weit geschwungenen Stelzenstraßen von Kapstadt. Es war klar, dass Herr von Riebeeck keinen Gedanken daran verschwendet hatte, dass seine Nachfahren mit dem Auto in die Stadt fahren wollen. Ansonsten hätte er einen weniger beengten Platz für seine Niederlassung gesucht. Mein Ziel lag in der Nähe von Muizenberg, wo Roger Chennels arbeitete. Der Anwalt hatte 1998 zum ersten Mal einen gerichtlichen Sieg für die Buschmänner erstritten und war später durch seinen Feldzug gegen einige internationale Pharmakonzerne berühmt geworden. Sein Büro war in einem bescheidenen Holzhaus untergebracht, und da wir drinnen vor lauter Aktenberge keinen Platz zum Sitzen fanden, gingen wir hinaus in den
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