Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
waren die Christen «toll und wahnsinnig», nun hieß es im Dekret über die Anhänger der römischen Gottheiten, sie seien «Ketzer, wahrhaft toll und wahnsinnig». Ältere Bürger, denen die Umstellung von den römischen Göttern auf den einen Christengott genauso schwerfiel wie heutigen Senioren die Abkehr vom Fernsehen mit Antenne hin zur Anbetung des neuen Gottes «Internet», wurden kurzerhand für vogelfrei erklärt.
Merke: Zu bestimmten Zeiten ist es besser, beim Verlassen des Hauses noch mal kurz zu checken, an welchen Gott man glauben muss, wenn man wieder heil nach Hause kommen möchte.
Doch der Schwenk hin zur angesagtesten Religion nützte den römischen Herren auch nichts mehr. Am 24 . August im Jahre 410 n. Chr. war Schluss.
Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass Rom nicht von einer Hightech-Armee geschlagen, sondern durch banausenhafte Goten (oder wie Römer gesagt hätten: Idioten) erstürmt worden ist. Europa war voller Völker, die die Römer hassten, weil ihre Heimat von ihnen besetzt worden war. Sie waren zwar primitiver als ihre Besatzer, aber ungleich wütender. Außer den beiden lässigen Galliern Asterix und Obelix, versteht sich.
Von nun an stürzte Italien, wie der Rest Europas, ins Mittelalter, oder wie man es auch nicht ohne Grund nennt, in die dunkle Zeit. Die Straßen verrotteten; Alarich selbst, Chef der erobernden Horden, betrachtete Straßen als etwas «Weibisches». Die Wasserversorgung brach ab, die Aquädukte zerfielen in der Sonne, mit dem Wasser und den Bädern verschwand die Hygiene mit bald katastrophalen Folgen, nach den großen römischen Bauten wurde – zum Teil bis heute – nichts Vergleichbares mehr erschaffen. Es war ein totaler Zusammenbruch der Kultur.
Noch nicht mal schöntrinken konnte man sich die Verhältnisse, denn auch der Weinbau geriet in Vergessenheit. Dabei haben auch all die von Römern besetzten Völker gerne Wein getrunken. Wie betrunken muss man eigentlich sein, um das Wissen über die Herstellung von Wein zu vergessen?!
Stellen wir uns einmal vor, es gäbe heute das lang erwartete Erdbeben in Kalifornien und die Server von Google, Facebook und Apple verschwänden in einem großen Loch. Daraufhin vergisst die Menschheit alles, was jemals im Silicon Valley erfunden wurde, und es beginnen tausend Jahre ohne Computer, ohne vernünftige Handys und ohne das bei Google gespeicherte Wissen. Kein Problem? Den Quatsch brauchen wir eh nicht? So selbstbewusst waren nach dem Untergang des Römischen Reichs auch die Christen, die nun an den Schalthebeln der Macht saßen. Unzählige Bibliotheken mit dem gesammelten Wissen der Antike lagen im Einflussbereich dieser neuen Religion – von der Bibliothek in Alexandria war im Vorfeld schon die Rede. Und in den Augen der Christen waren Schriften, die den Lauf der Planeten und Sterne, die Naturgesetze oder mathematische Formeln formulierten, allesamt heidnisch. Das Urchristentum war in etwa so tolerant und säkular wie heute die Taliban in Afghanistan. Und die Situation zum Beginn des Mittelalters sah ungefähr so aus, als dürften heute die Taliban darüber entscheiden, was mit Bibliotheken und Internet, was mit jedwedem Fortschritt zu geschehen habe. Die Bibliotheken wurden in Brand gesteckt. Das war der Einstieg in den Abstieg. Und auch Italien ersteht erst wieder am Ende dieser tausend Jahre Stumpfsinn neu auf.
500 n. Chr. bis 1500
MITTELALTER
Allenfalls mittelmäßig: Europäer nach der Antike
Abstieg in die dunkle Zeit
Das Christentum ist das Mittelalter der Menschheit.
Ludwig Feuerbach, Philosoph
Unseren zweiten Auftritt auf der europäischen Bühne spielten wir also als Barbaren, die zusammen mit Vandalen, Ostgoten, Westgoten, kurz: anderen Barbaren das Römische Reich und damit allen Fortschritt zertrampelten. Als wir in unseren deutschen Wäldern das erste Mal den Kopf hochhoben und aktiv wurden, befanden wir uns in einer der lausigsten Zeiten Europas, die über tausend Jahre dauern sollte.
Man muss lange suchen, um in dieser Zeit Fortschritt zu entdecken, vor allem wenn man bedenkt, was es vorher schon alles gab. Die Straßen verschwinden im Unkraut, die Wasserversorgung bröckelt weg wie der riesige
Pont du Gard
bei Avignon. Über diese antike Brücke wurden einst jeden Tag zwanzigtausend Kubikmeter Frischwasser nach Nîmes geliefert, und nun: alles futsch. Gut, das war nicht auf deutschem Boden, sondern in Südfrankreich. In der Tat erlebten auch die Franken den
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