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Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)

Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)

Titel: Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schnoy
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Armut stürzten, stürmten die Bauern mit ihren Heugabeln los und machten richtig Rabatz. Erstmals standen die Bauern im Fokus der Aufmerksamkeit. Wer sich ihnen in den Weg stellte, bekam eine Heugabel in die Stirn gebohrt, Heilbronn wurde komplett von den Bauern übernommen, erhielt sogar ein Bauernparlament – heute würde man die Aktion wahrscheinlich «Occupy Heilbronn» nennen.
    Aber gerade als die Bauern richtig in Stimmung kamen, fingen die Fürsten an, sich mit aller Kraft zu wehren. Und dann tauchte auch dieser Luther wieder hinter einer Böschung auf und stellte sich den Revoluzzern in den Weg. «Moment, Leute, ihr habt mich komplett falsch verstanden. Ein Christenmensch soll sich nicht mit dem Schwerte schlagen, schreibt euch das hinter eure dreckigen Ohren!»
    Tja, und es waren Deutsche, zu denen er das sagte. Franzosen hätten ihn in die Büsche geschubst und wären weitergerannt, die deutschen Bauern hingegen gingen wieder aufs Feld und ließen sich für weitere Jahrhunderte unterdrücken.
    Hätten wir Deutschen damals mehr Stehvermögen gehabt, hätten wir noch vor den Briten und Franzosen eine echte Revolution hinbekommen.
    Mittelalter heute
    Das Mittelalter war in jeder Hinsicht, ob politisch oder soziokulturell, ein Aussetzer in der europäischen Geschichte. Eigentlich war die Menschheit schon viel weiter gewesen. Trotzdem lieben die Deutschen das Mittelalter bis heute. Sogenannte historische Romane, in denen diese Zeit als Dekoration für Liebesgeschichten herhalten muss, belegen meterlange Regale in den Buchhandlungen. Beinahe auf jedem von ihnen schaut eine hübsche Frau in einem roten Kleid wahlweise kämpferisch oder träumerisch oder sinnierend auf den Leser. Und war es damals nicht auch irgendwie viel … ursprünglicher als heute? Romantischer? Mit heldenhaften Rittern? Und galanten Adligen?
    Bei genauerem Hinsehen schneiden gerade die Ritter sehr schlecht ab; ihre Ritterlichkeit gehört ins Reich der Mären. In Wirklichkeit setzten sie brutal ihre Interessen durch. So war es durchaus keine Seltenheit, dass Ritter im Mittelalter auf Bauernjagd gingen: Aus lauter Lust und Tollerei töteten sie im Vorbeireiten Bauern auf dem Feld. Frauen wurden nicht beschützt, sondern beim Raub und nach Kämpfen als Beute angesehen – mit allen naheliegenden Folgen.
    Doch all dies, das Verschwinden antiker Weisheit, die Abwesenheit von Hygiene, der Ausbruch der Pest, die Hexenverbrennungen, die Brutalität der Zeit – nichts kann unserer Liebe zum Mittelalter Abbruch tun. Und sind sie nicht auch schön, unsere deutschen Altstädte? Kann man etwas anderes sein als stolz, wenn amerikanische Touristen in Tübingen, Nürnberg oder Lübeck mit den Händen über Stadtmauern streichen und ausrufen: «I can’t believe it, it’s not artificial, it’s a real stone-wall!»?
    Ich habe auf meinen Gastspielreisen in den letzten Jahren mehr als sieben Rollkoffer auf dem Kopfsteinpflaster deutscher Mittelalter-Innenstädte zerlegt, immer wieder fielen Rollen ab oder riss der Boden auf; Frauen brechen sich in den Lücken zwischen den Steinen die Absätze ab, Rennradfahrer verkeilen ihre Reifen und stürzen, Kinder werden in ihren Karren durchgeschüttelt, Autos sind auf ihnen viel lauter – aber bis heute ist bei uns grobes Kopfsteinpflaster der Inbegriff von Lebensqualität.
    Angesichts all dessen schwärme ich insgeheim für eine völlig unterschätzte Stadt, nämlich Mannheim. Sie ist weitestgehend mittelalterfrei und hat ein schachbrettartiges Straßennetz wie New York. Das macht Mannheim großstädtischer als es eigentlich ist. Trolleys und Radfahrer gleiten hier über glatten Asphalt, Frauen können unfallfrei stöckeln.
    Der Dramatiker Thomas Bernhard beschimpfte einmal deutsche Mittelalterstädte wie Würzburg als «gewucherte Dörfer», in denen seit Jahrhunderten der «Stumpfsinn warmgestellt» sei. Von derartiger Häme möchte ich mich ausdrücklich distanzieren, ich kann es mir schließlich nicht mit allen Lesern verscherzen, die in einem Fachwerkhaus leben.
    Doch ganz unrecht hat Bernhard nicht: Nicht nur ein Teil unseres architektonischen Lebens fußt immer noch auf mittelalterlichen Zuständen. Die Zünfte des Mittelalters haben bis heute mehr Einfluss in Deutschland als anderswo. So ist z.B. die Apothekerordnung reinstes Mittelalter: Apotheken dürfen nur von Apothekern (genauer gesagt: Pharmazeuten) betrieben werden und maximal drei Filialen besitzen. Große Kliniken kann dagegen jeder Fliesenleger

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