Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
Auber Auslöser des Umsturzes. Der Franzose hatte eine Oper komponiert, die im Sommer 1830 im Théâtre de la Monnaie in Brüssel gezeigt wurde. Sie hieß «Die Stumme von Portici», und es ging in ihr um den Aufstand der Neapolitaner, die von den Spaniern besetzt und unterdrückt wurden. Restlos ausverkauft war das Haus, und die Menschen schauten gebannt, inspiriert und aufgeregt zu. Als die Freiheitsarie gesungen wurde, stürmte das Publikum erst auf die Bühne, dann auf die Straße und begann dort den Aufstand, den ihm soeben noch Schauspieler vorgespielt hatten, kurzerhand selbst.
Wenige Monate später wurde die Monarchie entmachtet und die Revolutionäre mit Theater-Abo standen wieder auf einer Bühne. Diesmal war es der Balkon des Rathauses. Von dort oben proklamierten sie mit einer provisorischen Regierung die Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden, die als Okkupanten im übertragenen Sinne so unbeliebt waren wie einst die Spanier in Neapel. Der König wurde entmachtet. Immerhin ließen ihn die Belgier am Leben, noch heute ziert das Konterfei seines Nachnachfolgers die belgischen Euromünzen. Damit stehen die Belgier in ihrer Mentalität zwischen Frankreich und Deutschland: Während der König von Preußen den Aufstand niederschlagen ließ, haben die Franzosen nach ihrer Revolution 1789 den letzten König Louis XVI mit der Guillotine hingerichtet – ohne Diskussion.
Ideen kann man nicht erschießen
Neben Fontanes Erlebnissen in den auch «Märztage» genannten Ereignissen in Berlin, erlebten viele Deutsche auch in anderen Teilen des Landes Aufbegehren und Tumulte. Aufständische schrieben eine Verfassung, die ein Wahlrecht enthielt, und es wurden tatsächlich erstmalig Volksvertreter gewählt, die sich in der Frankfurter Paulskirche so versammelten, dass wir noch heute beim Anblick der Abbildungen denken: «Hey, sieht doch schon fast aus wie im Bundestag.»
Warum ist es dann doch schiefgegangen? Ein Grund war die absurd-naive Annahme, der König könnte mit den Beschlüssen einverstanden sein. Es war also wieder unser Bravheitsgen, das uns in die Quere kam. Die Einbeziehung des Königs war ein Moment der Schwäche. «Die Schweinekrone mit dem Ludergeruch der Revolution können die sich selber aufsetzen», soll Friedrich gesagt haben. Und dann einen Satz, der bis heute wie damals in Berlin immer wieder böse Wirklichkeit wird, ob in Syrien, Iran oder China: «Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.» Die Revolution wurde nach und nach neutralisiert oder niedergeworfen. In Wien passierte dasselbe. Dort rief der Revolutionär Hermann Jellinek seinen Peinigern noch einen Satz zu, den man sich allerdings merken sollte: «Ideen kann man nicht erschießen.»
In der Tat lebt die Idee von Demokratie in den Köpfen weiter fort, die Deutschen zettelten aber erst 1918 wieder eine Revolution an und besannen sich bis dahin auf andere Hobbys: Königen zuzujubeln und sich ansonsten wegzuducken.
Die Erfindung des Schaffners
Schon die Bauernkriege hatten zu nichts geführt, 1848 kam die nächste Pleite, danach ging es bei uns Deutschen so weiter wie im heutigen China: Technisch gesehen jagte ein Fortschritt den nächsten, politisch herrschte Stillstand, es sei denn, er kam von außen.
1835 fuhr die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth; eine Sensation: Endlich wurde der Schaffner erfunden und das schöne deutsche Wort «Zugestiegene». Doch mit dem Einzug der Moderne stellte sich auch ein modernes Empfinden bei den Deutschen ein: Technikfeindlichkeit und die generelle Skepsis gegenüber allem Neuem. Die Kirche warnte vor dem «feurigen» Drachen; Christen sollten sich fernhalten, denn der «Teufelsspuk» fahre direkt in die Hölle – geistig befand sich die Kirche also immer noch im Mittelalter.
Andere bemängelten, die Eisenbahnlinie würde die Natur durchschneiden und beeinträchtigen. Anscheinend gab es schon 1835 den NABU .
Wissenschaftler warnten, die Reisenden würden durch die hohe Geschwindigkeit des Zuges von sechsunddreißig Kilometern pro Stunde Depressionen und Angstzustände bekommen. Heute ist es genau andersherum: Durch die
Langsamkeit
der Züge bekommt man Depressionen. Im letzten Januar sind Menschen, die sich vor den Zug schmeißen wollten, auf den Gleisen erfroren, bevor der Zug endlich kam …
Besonders hintersinnig waren zu Anbeginn der Moderne die Einwände des Schriftstellers Moritz Gottlieb Saphir aus Österreich: Die Welt würde durch die Erfindung der Eisenbahn kleiner werden,
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