Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
nachlässiger.
Auf einmal sah man in einer Feuerpause über dem Graben der Alliierten ein Pappschild mit der Aufschrift «Frohe Weihnachten!» auftauchen. Das empfand niemand als Hohn, vielmehr beeilten sich die Deutschen, ebenfalls eine Pappe zu besorgen. Bald konnten die Briten durch ihre Ferngläser die Aufschrift «Merry Christmas» lesen. Für die Franzosen auf der anderen Seite fertigte man ebenfalls ein Schild an: «Joyeux Noël».
Nach einer Weile wurde das Feuer ganz eingestellt – hatte man nicht auch ein Anrecht auf ein bisschen Besinnung? Die deutschen Soldaten sangen Weihnachtslieder, der Feind lauschte. Dann schallte von der anderen Seite ein britisches oder französisches Lied herüber.
Am Tag darauf trafen sich die Feinde im Niemandsland zwischen den Fronten, tauschten Geschenke aus. Die Deutschen brachten Bierfässer, man spielte zusammen Fußball auf dem Grund, auf dem zuvor Unzählige im Maschinengewehrfeuer gestorben waren. Aber nicht an diesem Tag.
Jetzt machte man Fotos, die wir uns noch heute verblüfft anschauen können. Britische, französische und deutsche Soldaten sind darauf zu sehen, Arm in Arm, und sie lachen in die Kamera in diesem undenkbaren, wilden und strengstens verbotenen Frieden.
Am Neujahrstag, so verabredete man sich, sollte der nächste kampffreie Tag stattfinden. Warum gerade dann? So lange brauchte es, bis die Fotos entwickelt waren.
Die Generalität tobte, als sie von der Einstellung der Kampfhandlungen hörte. Zum Weihnachtsfest 1915 im Jahr darauf stand auf das Verbrechen «Singen mit dem Feind» die Todesstrafe, denn es untergrub eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Krieg: den Hass auf den Feind. Nur eines ist noch wichtiger, damit ein Soldat kämpft: Ein Soldat muss vor seinen Offizieren mehr Angst haben als vor dem Feind.
Eine Historikerin verhindert den Weltkrieg
Wer glaubt, Historiker seien Leute, die in Bibliotheken sitzen, Archive durchforsten und Bücher schreiben, die lediglich von einigen Kollegen gelesen werden, hat recht. Zumindest, wenn es um das Gros der Historiker geht. Es gibt aber auch rühmliche Ausnahmen, eine von ihnen heißt Barbara Tuchman. Sie hat den Beweis angetreten, dass Bücher die Welt verbessern können und Gandhi eben nicht ausnahmslos recht hatte, als er sagte, die Geschichte lehre nur, dass die Geschichte die Menschen nichts lehre.
Vielleicht lehne ich mich damit für manchen Geschmack zu weit aus dem Fenster, aber ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass Barbara Tuchmann den Weltuntergang verhindert hat beziehungsweise den Dritten Weltkrieg, was in Zeiten der nuklearen Aufrüstung dasselbe gewesen wäre. Wie ich zu meiner These komme? Mitten in der Kubakrise las der amerikanische Präsident John F. Kennedy Tuchmans Buch «Guns of August», das bei uns unter dem Titel «August 1914 » erschienen ist. In diesem Buch über den Beginn des Ersten Weltkrieges zeigt sie eindringlich, wie leicht man einen Krieg beginnen kann – und wie schwer es ist, ihn wieder zu beenden. Eine Erfahrung, die wir aktuell gerade wieder in Afghanistan machen, wo selbst ehemalige Befürworter es inzwischen nicht mehr für sinnvoll erachten, dass westliche Truppen in dem fernen Land stationiert sind. Aber die Truppen sind da. Und man kriegt sie nicht so schnell wieder raus. Jetzt, wo das Ende des Afghanistan-Einsatzes beschlossene Sache ist, stellt sich heraus, dass es noch weitere anderthalb Jahre dauern wird, bis wirklich alle Soldaten, bis alle Panzer und jedes Gerät verstaut und abtransportiert sind.
In der Kubakrise ging es aber um noch mehr. Damals, im Herbst 1962 , nahmen sowjetische Schiffe, mit Atomraketen beladen, Kurs auf das kommunistische Kuba und damit auf den Vorgarten der USA . Von dort hätte der kommunistische Feind erstmalig die Möglichkeit gehabt, mit Atomraketen das US -amerikanische Staatsgebiet anzugreifen. Die Berater um den Präsidenten waren aufgebracht. Sie teilten sich in «Falken», die für einen Angriff auf Kuba plädierten, und die «Tauben», die mit einer Blockade der Schiffe auf dem Meer die Eskalation eindämmen wollten.
Es bedarf einiger Nerven, Risikobereitschaft und eines sehr gefestigten Selbstbewusstseins, wenn man beim Säbelrasseln der Nationen nicht mitmachen will. Wer den Angriff fordert, scheint mutig zu sein; wer zögert und verhandelt, gilt schnell als feige. «Lassen Sie uns nur machen», hatten die US -Generäle im Krisenstab gedröhnt, «wir sind stärker und besser als die Gegner,
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