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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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University naturalistische und surrealistische Bilder hinsichtlich mehrerer optischer Kriterien mithilfe eines mathematischen Verfahrens verglichen. Da beides gegenständlich gemalt war, ergab sich kein signifikanter Unterschied bis auf die physikalische Unmöglichkeit von Dalís Gemälden.
    Sarita Silveira konnte im Kernspintomografen feststellen, dass die beiden unterschiedlichen Kunstrichtungen unterschiedliche Hirnaktivitäten auslösen. Naturalistische Bilder werden anstrengungslos entschlüsselt, das heißt, das Gehirn muss nur wenige Areale aktivieren, um sie wahrzunehmen und zu verstehen. Die Wahrnehmung und Interpretation surrealistischer Bilder hingegen ist mit sehr viel mehr Gehirnaktivität verbunden. Man kann daraus schließen, dass das Gehirn etwas physikalisch Unmögliches sofort erkennt.
    Wie können wir diese Erkenntnisse über die Wahrnehmung nun für unsere kreativen Zwecke einsetzen? Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen: Wahrnehmung ist nicht objektiv, sondern hängt von vielen Einflussfaktoren ab. Unsere Erfahrungen und unser Wissen steuern die Art, wie wir etwas Beobachtetes interpretieren, was auch unter das vorhin angesprochene Prinzip des Top-down fällt. Des Weiteren haben die Emotionen Einfluss auf die Wahrnehmung, ebenso darauf, wie stark oder weniger stark unsere Sinne Reizen ausgesetzt sind. Auch Alkohol und andere Drogen beeinflussen sie.
    Wenn Wahrnehmungen auch von subjektiven Faktoren abhängen sind und sich verändern lassen, ist der Schritt nicht weit, sie bewusst einzusetzen. Und hier sind wir wieder bei der Kreativität: Sie profitiert davon, wenn wir neue Facetten an gewohnten Wahrnehmungsweisen entdecken. Zum Beispiel bei einer Weinprobe: Wie oft haben wir schon Wein getrunken. Erklärt aber ein Sommelier, wie der Wein zu trinken ist, auf welche Geschmacksrichtungen wir achten müssen und wie er sich von anderen Weinen unterscheidet, schmecken wir plötzlich mehr Unterschiede. Es ist derselbe Wein, doch das Empfinden ist reicher geworden.
    Untersuchungen mit der funktionalen Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen, dass die neuronalen Aktivitäten beim Lernvorgang, bei der Schulung von Wahrnehmung, gleich bleiben. Die Informationen nehmen wir also immer wahr. Doch wenn wir lernen, genauer zu sehen, mehr zu hören, besser zu schmecken und zu riechen, dann lernen wir, mit den gegebenen Informationen mehr anzufangen. Wir interpretieren nach und nach Details, die uns vorher nicht bewusst waren. Damit schaffen wir eine Grundlage für Kreativität: Mit mehr achtsam wahrgenommen Details haben wir mehr Informationen zur Verfügung, die kreativ zu neuen Aspekten und Sichtweisen kombiniert werden können. Fördern Sie diese Suche, indem Sie an multisensorischen Ereignissen teilnehmen, bei denen Sie gleichzeitig hören, sehen, riechen, tasten, schmecken – par excellence zu praktizieren bei einem sexuellen Akt, aber natürlich auch bei einem Picknick unter blühenden Kirschbäumen, einem Open-Air-Konzert in einer lauen Sommernacht, der Rast an einem Gipfelkreuz und vielem mehr.
    Die genauen Beobachtungen von Auguste Rodins Vater führten übrigens noch zu mehr als der Weltkarriere seines Sohnes. Auguste Rodin ist Namenspate der International Rodin Remediation Academy, deren Sitz sich im Karolinska-Institut in Stockholm befindet, wo die Nobelpreise verliehen werden. Hier kommen führende Forscher der Welt regelmäßig zu Konferenzen zusammen, um darüber nachzudenken, wie Legasthenie zustande kommt und welche Therapiemöglichkeiten es gibt. Doch eigentlich ist es nicht Auguste Rodins Name, den die Akademie tragen sollte; es ist der seines Vaters, der vor 150 Jahren mit aufmerksamem Blick die Leserechtschreibschwäche seines Sohnes festgestellt und daraus kreative Schlüsse gezogen hat.
    Von der Analyse des Einzelfalls aus kreativ weiterzudenken ist leider nicht überall an der Tagesordnung. Hindernissen ist leider schon die kreative Selbstverwirklichung der Jüngsten in unserer Gesellschaft ausgesetzt: In Schulen werden häufig nicht die individuellen Stärken erkannt und gefördert, sondern es wird eine Gleichmacherei betrieben, die wohl aus dem Gedanken der Gleichberechtigung entstanden ist. Der Unterrichtsstoff ist normiert, die Lehrpläne sind zumindest landesweit vereinheitlicht und alle Kinder sollen in definierten Hauptfächern möglichst gut sein. Es wird ein Maßstab an alle Kinder angelegt, so als ob es keine unterschiedlichen Begabungen gäbe. Auf die individuellen

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