Von Natur aus kreativ
Liebesleide
Durchforscht betroffen Hirn und Eingeweide
Nach dem Rezept zu dem Gefühlsragout.
E r zwängt sich mühsam durch ein dichtes Netz
Beachtenswerter Gegenargumente,
Philosophiert bis an den Rand des Betts
Und denkt im physiologischen Momente
Noch an den Arzt und an das Strafgesetz
Und an die etwaigen Alimente.
Die Versklavung des Bewusstseins und einige Befreiungsversuche
Wenn man sich in die Außenperspektive begibt und sich gleichsam neben sich stellt, dann entdeckt man, dass einem nicht nur etwas bewusst ist, sondern dass einem immer etwas bewusst ist, sei es Wahrgenommenes, Erinnertes, Gefühltes, Gewolltes oder auch Bedachtes. Durch das Zusammenkommen der Außenperspektive mit der Tatsache, dass wir ununterbrochen Informationen verarbeiten, entdecken wir mit Schrecken, dass wir „versklavt“ sind: Unsere Antennen müssen immer offen sein für die erfolgreiche Regulation der Lebensprozesse; unser Gehirn muss fortwährend Informationen aufnehmen und diese im Hinblick auf das abwägen, was gut und was weniger gut für uns ist. In jedem Augenblick sind wir durch Informationen fremdbestimmt. Wir sind nicht frei und können nicht frei sein, denn diese Versklavung ist Teil des Lebensprogramms, das uns mitgegeben wurde. Versklavung in diesem Sinne ist ein Wesensmerkmal des Lebens und somit auch des Menschseins.
Wenn aber das Bewusstsein notwendigerweise versklavt ist, was ist dann eigentlich das Ich? Kann man überhaupt von einer Autonomie des Selbst sprechen? Im Rahmen der Versklavung, wie sie gerade dargestellt wurde, ist dies nicht möglich. Und das muss kein Problem sein, sofern man mit der Versklavung einverstanden oder sogar mit diesem Freiheitsentzug zufrieden ist. Doch ist es überhaupt möglich, sich aus dieser Versklavung zu befreien? Und wenn ja, wie?
Ein Versuch der Befreiung ist die Forschung selbst, und vielleicht betreiben Wissenschaftler nur deshalb Forschung, um nicht mehr der Ödnis des Alltäglichen ausgeliefert zu sein. Man begibt sich als Hirnforscher in eine „Schleife derSelbstreferenzialität“ und untersucht die Gründe, warum es zu dieser Art von geistiger Versklavung kommen musste und wie man ihr vielleicht entgehen könnte. Diese Suche nach Selbsttransparenz führt zum Verständnis der Motivationsstrukturen, die einen beherrschen. Ein Befreiungsversuch ganz anderer Art ist durch künstlerische Tätigkeit gegeben: Mithilfe der eigenen Kreativität ist es möglich, der Besetzung des Bewusstseinsstroms durch Geschehnisse in der Welt zu entgehen. Ein weitere Befreiungsmöglichkeit bietet die Konzentration: Durch die fokussierte Aufmerksamkeit auf einen Bewusstseinsinhalt verhindert man, dass ununterbrochen etwas durch das Bewusstsein wandert, das sich der eigenen Kontrolle entzieht. Die Meditation ist ein anderer Weg aus der Versklavung des Bewusstseins, zumindest eine Weise der Meditation, in der nur ein Bewusstseinsinhalt im Zentrum steht. Durch den meditativen Prozess versucht man, die evolutionären Randbedingungen hinter sich zu lassen, die uns in den kontinuierlichen Strom der Informationsverarbeitung hineinzwingen.
Eine wenig bekannte Form der Meditation oder der Selbstversenkung, die jedem offensteht, ist eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit (wir haben sie in Kapitel B5 als „Introspektion“ bezeichnet). Dabei ruft man sich Bilder aus seiner Erinnerung vor das geistige Auge. Von solchen Bildern haben wir in unserem episodischen Gedächtnis eine große Zahl aufbewahrt, die wir durch eine Zeitreise hervorsuchen können. Dieser psychische Akt, den jeder bereits gewollt oder ungewollt vorgenommen hat, ist mit Konzentration und Anstrengung verbunden, aber man kann ihn durch Übung stärken – und man kehrt von seiner Reise mit einem Gefühl der Befreiung zurück. Mit dieser Form der Meditation nimmt man Kontakt zu sich selbst auf. Das ist in einem durchaus realen Sinn gemeint, denn häufig entdeckt man sich selber in den Bildern der eigenen Vergangenheit; man ist sein eigener Doppelgänger und sieht sich selbst vor seinem geistigen Auge. Indem man sich als sein eigener Doppelgänger gegenübertritt, bestätigt man sich selbst; die personale Identität wird wesentlich davon getragen, sich in seiner eigenen Vergangenheit sehen zu können. Damit ein solches Doppelgängertum erfahren werden kann, müssen jedoch mehrere Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss ich eine Dissoziation vornehmen; ich muss mich tatsächlich gedanklich neben mich stellen, also eine
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