Von Natur aus kreativ
Arzt gesagt,
Daß ihr das Liebeswerk des Morgens sehr behagt,
Allein gesünder sei’s, des Abends sich zu pflegen.
N un will sie aber mit Bedacht
Es täglich zweimal tun,
Des Morgens, weil’s Vergnügen macht,
Des Abends der Gesundheit wegen.
Auf die tagesperiodische Variation von Funktionen und einiges mehr geht Goethe in der „Römischen Elegie“ ein. Insbesondere thematisiert der Dichter hier auch das Prinzip der Komplementarität, dem zufolge sich das Verständnis von Kunstwerken insbesondere aus der menschlichen Nähe und damit verbundenen erotischen Aktivitäten erschließt:
Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert,
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt;
Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt.
Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den Marmor erst recht: ich denk und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug, fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages,
Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen;
Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf dem Rücken gezählt. Sie atmet in lieblichem Schlummer,
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.
Amor schüret die Lamp indes und denket der Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.
Dass es eine letzte Phase im Leben gibt, in der die Wollust verschwindet, das meint Cicero in einem seiner wichtigsten Werke, „Cato maior de senectute“ („Cato über das Alter“). Cicero stellt die These auf, man müsse froh sein, diesem Drang nicht mehr ausgeliefert, sondern endlich von sexuellen Bedürfnissen befreit zu sein. Irgendwann ist es dann mit dem Leben und seinen Freuden und Schrecken vorbei; man wurde gemacht, und dann wird man geholt. Doch manchmal geschehen die merkwürdigsten Dinge, wie Joachim Ringelnatz mit „Heimweg“ feststellt:
Babette starb – noch vor erhoffter Zeit. –
Bei ihrer Nichte stand ein Sarg bereit.
Und diese Nichte fuhr mit ihrem Gatten
Nebst Leiche und mit Höchstgeschwindigkeit
Im Leichenauto zum Bestatten.
Doch was kommt in Berlin nicht alles vor;
Und eben deshalb hatte der Chauffeur
In einem Ladenfenster links am Brandenburger Tor
Malheur.
Aus Autotrümmern, Scherben und Korsetten
Zog man Chauffeur, nebst Nichte, nebst Gemahl ganz tot hervor.
Die Leiche nur (wir sprechen von Babetten)
Vermochte sich zu retten.
Da sie zum Glück nur scheintot wesen war,
Ging sie jetzt heim und lächelte sogar.
Allerdings dürfte so etwas, wie mit der wilden Phantasie von Ringelnatz beschrieben, eher selten vorkommen. Eine Frage: Ist es wirklich so, wie man immer wieder hört und liest, dass man nur vor dem Sterben, aber nicht vor dem Tod Angst habe? Ich kann mir diesen Unterschied nicht vorstellen. Das scheint eher ein Spiel mit Worten zu sein. Doch eine Angst gilt wohl für alle Menschen, über die Mascha Kaléko das Gedicht „Memento“ geschrieben hat:
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
D er weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.
Bewegend sind die vielen Gedichte, die Robert Gernhardt angesichts seines langen Sterbens und bevorstehenden Todes geschrieben hat. In „Zweierlei Therapie“ kommentiert er auch unser medizinisches System:
Weil Krankheit stets nach Heilung schrie,
ersann der Mensch die Therapie.
Die kann durchaus ein Segen sein.
Doch gilt das durchweg? Leider nein.
Spricht der Arzt von „adjuvant“,
hängt der senkrecht an der Wand.
Spricht er von „palliativ“,
hängt der ganze Segen schief.
Denn das Wort bedeutet schlicht:
Wahre Heilung gibt es nicht.
Woraus folgert: Der Klient
bleibt ein Leben lang Patient
einer Medizin, die schaut,
daß er nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher