Von Natur aus kreativ
schnell abbaut.
Leben strecken, Leiden lindern,
Trübsal dämpfen, Schmerzen mindern –
all das ist zutiefst sozial,
unterm Strich jedoch fatal,
da es auf ein Ende zielt,
das stark ins Finale spielt:
Dürrer werden, matter werden,
Abschied nehmen von der Erden,
n ach und nach – zuerst vom Kiez,
dann vom Heim, dann vom Hospiz,
dann, zum Sterben durchgewunken,
sprich: palliativ gesunken,
siehst du endlich wieder Land:
So ein Tod ist adjuvant!
Der Schrecken des Sterbens zeigt sich vor allem auch in der Angst, damit allein gelassen zu sein. Karl Krolow sagt hierzu in „Exit“:
Die letzte Krankheit. Man wird ganz allein sein
mit Apparaten. Und Dein- und Mein-Sein
ohne Unterschied in der Agonie.
Man wird so schmutzig oder so rein sein
und ohne Schuld und ohne Verzeihn sein
nach der letzten, tödlichen Therapie.
Doch ist mit dem Tod wirklich alles vorbei? Nicht alles von uns wird vergehen, wenn wir etwas geschaffen haben, wie Horaz voller Stolz über sein Werk in der letzten und 30. des dritten Buches seiner Oden verkündet:
Errichtet habe ich ein Denkmal, dauerhafter als Erz
(„Exegi monumentum aere perennius“),
Das die Königsgräber, die Pyramiden, überragt,
Das nicht nagender Regen, nicht der ungestüme Nordwind
Zu zerstören vermag noch die endlose
Reihe der Jahre und die flüchtige Zeit.
Nicht völlig werde ich sterben („Non omnis moriar“),
Und ein großer Teil von mir
Wird der Todesgöttin entfliehn.
Dass etwas bleibt, dass nicht alles vergeht, das gilt für jeden, nicht nur für den Dichter. Durch unsere Existenz, das Leben jedes Einzelnen, kann sich der Lauf der Welt verändern. Man spricht in der Chaostheorie vom Schmetterlingseffekt, dem zufolge der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo auf der Erde einen Tornado auslösen kann. Auf der Grundlage dieser Theorie gilt auch, dass jeder Mensch ein Schmetterlingseffekt sein kann, dass durch die Existenz des einzelnen Lesers dieses Buches sich der Lauf der Welt verändern kann. Wir werden es nicht wissen, doch es könnte so sein. Das wäre dann Kreativität einer ganz anderen Art. Dieser kreative Schmetterlingseffekt mag sich erst spät einstellen, vielleicht erst nach Beendigung des irdischen Seins, doch es könnte geschehen, und dies gilt für jeden Erdenbürger. Dass eine solche Wirkung aus dem Dunst des Unbestimmten herausgehoben werden kann, dafür steht das Gedicht. Das Weiterleben im Gedicht ist ein Thema seit Beginn der abendländischen Poesie, wie zwei kurze Gedichte der griechischen Dichterin Sappho in der Übersetzung von Raoul Schrott zeigen:
Mögen sie auch nur atem sein
die worte . meine zunge wird sie
unsterblich machen
Die musen gaben mir mein leben
und wenn ich sterbe werde ich
niemals mehr vergessen werden
Das Sonett 18 von William Shakespeare, das mit der Zeile „Shall I compare thee to a summer’s day“ beginnt, bezieht sich in seinen letzten Zeilen auch auf das Weiterleben im Gedicht; es lautet in der Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger:
Was heißt hier Sommertag! So hitzig nicht,
viel zarter bist du. Wie so oft im Mai
der Sturm bereits die teuren Knospen bricht!
Und rasch ist so ein Sommer auch vorbei.
Bald brennt das große Aug am Himmel grell,
bald trüben Schatten seine goldne Iris ein.
Was schön am Schönen ist, entblättert schnell
die Laune der Natur, der Zufall. – Nein!
I ch will nicht, dass dein Sommer weicht,
dass soviel Schönheit schwindet und verwaist,
dass sie im Todesschatten ganz verbleicht.
Ich will, dass du in meinem Vers gedeihst,
und lebst, solang die Welt noch Augenlicht
und Atemzug belebt: hier im Gedicht.
Und schließlich sei noch das Gedicht „Nänie“ von Friedrich Schiller als Beispiel genannt, das deutlich macht, wie man durch das Gedicht nicht „klanglos zum Orkus hinabgeht“, und in dem sich, wenn man es spricht, auch die zeitliche Zäsur innerhalb der Gedichtzeile hörbar machen lässt:
Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage
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