Von Natur aus kreativ
goldenes Büchlein von der besten Staatsverfassung und von der neuen Insel Utopia, Stuttgart: Reclam 1983 (zuerst 1516).
Die Wortschöpfung „Utopia“ von Morus legt gleichsam das Wort „Syntopie“ in den Mund. „Syntopie“ ist auch das letzte Wort dieses Buches und sollte den unglücklichen Begriff „Interdisziplinarität“ ersetzen: Utopien beschreiben zukünftige Orte, die es noch nicht gibt und vielleicht niemals wirklich geben wird; „Syntopie“ bezeichnet dagegen einen neuen „Ort“, der dadurch geschaffen wird, dass zwei Dinge zusammengebracht werden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Und dort entfaltet sich Kreativität, an Orten, an denen Verschiedenes zusammenkommt.
Armin Nassehi: Mit dem Taxi durch die Gesellschaft. Soziologische Storys, Hamburg: Murmann 2010.
Armin Nassehi ist eine großartige Einführung in Themen der Soziologie gelungen, die dem Laien und vielleicht sogar manchen Spezialisten die Augen dafür öffnet, was eine Gesellschaft bestimmt und was sie bewegt. Ein Thema, das sich durch das ganze Buch zieht, ist das der „Perspektive“ und des Perspektivwechsels: „Warum erscheint die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven und Positionen so unterschiedlich? Warum verfangen wir uns in unseren eigenen Sichtweisen? Warum erscheint uns diese Gesellschaft als nie abgeschlossen, nie fertig, nie stillstehend, nie sicher?“ Aus der Perspektive des Neurowissenschaftlers gibt es hierauf durchaus einige Antworten, wie oben dargestellt wurde. Von besonderem theoretischen Wert ist das Schlusskapitel mit dem Titel „Verdoppelungen. Warum sich die Welt unserer Beschreibung verdankt“, und hier ist der Neurowissenschaftler gefordert, Widerstand zu leisten. „Das Beschreiben der Welt ist selbst der Akt, der die Welt hervorbringt“, schreibt Nassehi. Schaffen wir die Welt wirklich „nur“ mit der Beschreibung, also aus einer Außenperspektive? In Nassehis These spiegelt sich der tiefe Glaube an das explizite Wissen, das die menschliche Natur ausmachen soll, und hier sind Zweifel angebracht. Ich bin bereits vor aller Reflexion „in der Welt“, und ich entdecke erst im Nachhinein, begabt mit der möglichen Außenperspektive auf mich selbst, dass ich verschiedene Perspektiven haben kann, die die Welt auf jeweils eigene Weise verdoppeln. Und dann erst sind unterschiedliche Beschreibungen überhaupt möglich. Aber vielleicht habe ich hier auch etwas missverstanden.
Walle J. H. Nauta & Michael Feirtag: Fundamental Neuroanatomy, New York: Freeman & Co. 1986.
Was für eine merkwürdige Konstellation: Walle Nauta, einer der führenden Neuroanatomen des 20. Jahrhunderts, arbeitete in einem Institut für Psychologie. Damit ist er auch eine Inkarnation der Idee von Interdisziplinarität oder „Syntopie“. Viele der führenden Neurowissenschaftler haben ihre Prägung durch ihn erfahren. Berühmt waren seine Vorlesungen dienstagabends am Massachusetts Institute of Technology, in denen seine Denkweise besonders deutlich wurde. Mit Bescheidenheit und Stolz, Unabhängigkeit im Denken und Wertschätzung der anderen führte er uns in sein Fach ein. Einer seiner zentralen Gedanken, der auch zu einem zentralen Gedanken dieses Buches wurde: Die Funktionen des Hirnstamms bis hinauf zum Mittelhirn (Mesencephalon) dienen dem fundamentalen Zweck, das „Gleichgewicht“ zu halten, „posture“ zu sichern, wobei „posture“ sich sowohl auf den Bewegungsapparat als auch auf das Innere bezieht. Es geht um „Standsicherheit“ und damit um die Möglichkeit, sich zielgerecht bewegen zu können, aber auch um die Herstellung der Homöostase oder des inneren Gleichgewichts. Der corticale Mantel, jenes großartige Gehirn, auf das wir so stolz sind, dient im Wesentlichen der Bewertung von Situationen und inneren Zuständen. Damit stellt der corticale Mantel auch jene Dienstleistungsfunktionen bereit, die notwendig sind, um „Haltung“ zu bewahren.
Donald A. Norman: Emotional Design. Why We Love (or Hate) Everyday Things, New York: Basic 2004.
Offenbar werden allerlei moderne Technologien von jungen, männlichen und rechtshändigen Ingenieuren entwickelt, die ihre Kreativität lieber nutzen, um das zu tun, was sie können, aber nicht für das, was Menschen brauchen, also anstrengungslos nutzen können. Gebrauchstauglichkeit undDesign von Produkten müssen sich am menschlichen Maß orientieren, und hierfür scheint vieles von dem Wissen aus der Hirnforschung ganz nützlich zu sein. Denn wer
Weitere Kostenlose Bücher