Von Rache getrieben - Vampirroman (German Edition)
mit einem abschätzenden, kalten Blick, der diesem unmissverständlich klar machte, dass sie nur zu gerne ihre Zähne in seinen Hals schlagen würde. Als Elvira ihn plötzlich anfauchte, lief ein kalter Schauer über seinen Rücken und der Sechzigjährige wich drei Schritte zurück.
Daraufhin warf Elvira lachend eine ihrer langen, blonden Haarlocken nach hinten und verschwand genauso schnell, wie sie aufgetaucht war. Martin atmete erleichtert auf und ging zu einem Küchenstuhl, um sich zu setzen. Er wusste zwar, dass die Vampirin nicht über ihn herfallen durfte, weil Lyonel es ihr strikt verboten hatte; doch diese Tatsache änderte nichts daran, dass Elvira ihm Angst einjagte. Er war heilfroh, dass sie in zwei Tagen wieder abreisen wollte und dass seine Frau Lisa für ein paar Tage zu ihrer Schwester gefahren war. So blieben ihr wenigstens Elviras Bosheiten erspart.
Lyonel ließ sich auf sein großes Bett, das mitten im Raum stand, fallen und starrte an die Decke. Niklas Blutgeruch hing ihm noch immer in der Nase und reizte seine Sinne. Nur zu gerne hätte er ein wenig von der roten, warmen Flüssigkeit, die durch die Adern des jungen Mannes strömte, gekostet. Was ihn jedoch wirklich ärgerte, war, dass er Niklas hatte zurücklassen müssen. Dass sein größter Feind, die Sonne, ihm wieder einmal in die Quere gekommen war.
Die Begegnung mit Niklas weckte zwar Erinnerungen, die Lyonel tief in sich begraben hatte, die wehtaten, aber auf keinen Fall wollte er ihn da draußen sterben lassen. Er war sich sicher, dass Niklas es ohne Hilfe nicht bis in die Stadt schaffen würde. Der junge Mann müsste schon großes Glück haben, wenn auf der alten Straße ein Auto vorbeikommen und ihn mitnehmen sollte, denn eigentlich war sie wegen ihres schlechten Zustandes gesperrt. Allerdings wies darauf nur ein Verbotsschild hin, das in der Dunkelheit leicht zu übersehen war. In der Regel verirrten sich nur Fremde auf die Straße, und das auch nur alle paar Wochen, da diese Gegend touristisch noch nicht erschlossen war.
Lyonel stieß einen langen Seufzer aus und murmelte:
„Warum holt die Vergangenheit mich immer wieder ein? Wieso treibt sich ausgerechnet Rachels Sohn in dieser einsamen Ecke Serbiens herum?“
Er rollte sich auf die Seite und zog die oberste Schublade seines Nachtschränkchens auf. Zögernd griff der Vampir nach einem kleinen Briefumschlag, den er das letzte Mal vor zehn Jahren hervorgeholt hatte. Lyonel öffnete ihn und zog das Foto einer jungen, lächelnden Frau daraus hervor – es war Niklas’ Mutter.
Der Vampir starrte die Aufnahme eine Minute lang an und streichelte anschließend mit seinem Daumen über Rachels Gesicht. Danach seufzte er leise und stand auf. Ohne seinen Blick von dem Foto in seiner Hand abzuwenden, begann er durch das Zimmer zu wandern, und überlegte, was er als Nächstes tun sollte.
Gerne hätte er Martin losgeschickt, um Niklas zu holen, doch leider kam diese Option nicht in Frage. Seit einem tragischen Unfall setzte sein Verwalter sich hinter kein Steuer mehr und überließ das Autofahren seiner Frau, die momentan nicht da war. Zu Fuß brauchte er Martin erst gar nicht loszuschicken, da dieser, im Gegensatz zu ihm, mehrere Stunden benötigen würde, um zu Niklas zu gelangen. Ganz abgesehen davon, dass Martin es gar nicht schaffen würde, den reißenden Fluss zu überqueren, der im Weg war.
Leider hielt sich zurzeit auch keiner von den drei Arbeitern, die auf dem Gut halfen und in einem Nebengebäude, gute dreihundert Meter entfernt vom Herrenhaus, wohnten, in der Nähe auf. Sie waren für fünf Tage ans Mittelmeer gefahren, um dort ihren wohlverdienten Urlaub zu genießen.
Also blieb nur noch das kleine Krankenhaus in der Stadt übrig. Lyonel griff nach seinem Telefon und wählte die Notfallnummer. Es dauerte nicht lange, bis sich eine Frau namens Dunja Petrovic meldete. Der Vampir erklärte ihr, dass es auf der alten Straße, ungefähr zwei bis zweieinhalb Fahrtstunden von der Stadt entfernt, einen Unfall gegeben hatte. Außerdem berichtete Lyonel der Frau von den offensichtlichen Verletzungen, die er bei Niklas gesehen hatte, woraufhin diese erklärte:
„Wir schicken sofort ein Rettungsteam los. Bitte halten Sie das Unfallopfer möglichst warm, bis die Sanitäter eintreffen. Und Sie sollten den Verletzten nicht aus den Augen lassen. Achten Sie auf Anzeichen eines möglichen Schocks, und sollte er sein Bewusstsein verlieren, überprüfen Sie bitte kontinuierlich seine Vitalwerte. Es
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