Von Ratlosen und Löwenherzen
Papst veranlassen, Henry zu exkommunizieren. Es sah Henry ähnlich, dass er einen kühlen Kopf behielt. Er holte sich einen kompetenten Fachmann, den meistgerühmten Kirchengelehrten seiner Epoche, als Berater und hörte obendrein auch noch auf ihn. Schon 1107 kam es zu einem Kompromiss: Nicht der König, sondern die Domkapitel (also Kleriker) wählten den Bischof. Der musste dem König aber für seinen weltlichen Besitz einen Lehnseid leisten, ehe er geweiht werden durfte. Das erwies sich als kluge, vor allem praktikable Lösung, die viel zur inneren Stabilität Englands beitrug.
Der folgenschwere Untergang des White Ship
Trotz seiner beachtlichen Virilität hatte Henry nur einen einzigen ehelichen Sohn, William, der nach englischer Sitte »Ætheling« genannt wurde.Am Abend des 25. November 1120 ging William Ætheling mit einer großen Zahl von Adligen, Freunden und unehelichen Geschwistern in Barfleur an Bord des White Ship , um nach England zurückzukehren. Sie hatten etwas zu feiern, denn König und Prinz hatten gerade einen diplomatischen Coup gelandet, der ihnen die Normandie dauerhaft sichern sollte, und darum war die Stimmung an Bord ausgelassen. Alle waren sternhagelvoll – leider auch der Steuermann. Er lenkte das White Ship auf ein Riff, und in Sichtweite des Hafens sank es mit Mann und Maus. Der Prinz ertrank ebenso wie seine Geschwister und ein Gutteil des Nachwuchses der anglo-normannischen Adelshäuser. Nur ein Metzger aus Rouen wurde gerettet, heißt es.
Das war eine persönliche Tragödie und eine dynastische Katastrophe für König Henry und, wie sich herausstellen sollte, der Auslöser eines lang anhaltenden Albtraums für die Engländer.
Da Henrys schottische Gemahlin zwei Jahre zuvor verstorben war, heiratete er Adelisa, die landlose, aber schöne, junge Tochter des Grafen von Louvain, um möglichst schnell einen neuen Erben zu zeugen. Aber auf einmal war’s aus mit der Mannbarkeit. In fünfzehn Ehejahren schenkte Adelisa ihm nicht ein einziges Kind. (Doch an ihr lag’s nicht: Als sie nach seinem Tod den Earl of Arundel heiratete, kam eins nach dem anderen.)
Henrys schlimmste Befürchtung war vermutlich, seinem Neffen William Clito, Sohn des tumben, eingekerkerten Robert, könnte die englische Krone in den Schoß fallen. Darum tat der König etwas höchst Ungewöhnliches: Er rief seine Tochter Matilda – sein einzig verbliebenes eheliches Kind – zur Thronerbin aus.
Wie so viele Prinzessinnen jener Zeit hatte Matilda mit Mitte zwanzig schon ein bewegtes Leben hinter sich. Mit acht Jahren war sie mit dem deutschen Kaiser Heinrich V. verheiratet worden, mit zwölf wurde sie in Worms zur Königin gekrönt,mit fünfzehn überstand sie eine Alpenüberquerung im Winter, wurde in Rom zur Kaiserin gekrönt, regierte nach Heinrichs Rückkehr nach Deutschland allein über seine italienischen Domänen und befehligte seine Armee. Trotz ihrer Jugend erfüllte sie ihre Aufgaben mit großer Würde und Gewissenhaftigkeit, und man kann wohl sagen, sie hatte Spaß an ihrem Job. Doch die Ehe blieb kinderlos, und 1125 starb Heinrich. So kam es, dass Matilda für die Bewältigung der anglo-normannischen Nachfolgekrise unerwartet zur Verfügung stand.
König Henry holte seine Tochter nach England zurück, um ihr auf den Zahn zu fühlen – schließlich hatte er sie als achtjähriges Kind zuletzt gesehen. Er fand eine welterfahrene junge Frau, die die besten Kontakte zum europäischen Adel unterhielt und in Diplomatie ebenso beschlagen war wie in politischen Intrigen. Denkbar gut geeignet also für das, was er mit ihr im Sinn hatte. Höchstens eine Spur zu selbstbewusst für eine Frau, deuten die Chronisten hier und da an. So nannte sie sich zum Beispiel bis ans Ende ihrer Tage »Kaiserin« (und auch wir werden sie hier fortan so nennen, denn als Kaiserin Matilda, auf Englisch »Empress Maud«, ging sie in die Geschichte ein).
Eine Frau auf dem Thron?, fragten die englischen Lords der Welt und der Kirche pikiert.
Aber Robert, Earl of Gloucester, der berühmteste von Henrys Bastarden (der einen prima König abgegeben hätte), sprach in den Beratungen für den Vorschlag seines Vaters. Genau wie Matildas Onkel, der König von Schottland, und einige andere große Lords. Am Neujahrstag 1127 ließ Henry seinen versammelten Hof einen Treueschwur an Matilda leisten. Zwei Männer rangelten um die Ehre, der Erste sein zu dürfen, der diesen Eid leistete: ihr Halbbruder Robert of Gloucester und ihr Cousin Stephen
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