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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Vorwurf des Verrats in der Normandie eingesperrt.
    1083 erhob Prinz Robert sich erneut gegen seinen Vater. Im selben Jahr starb Königin Matilda, und nun war wirklich niemand mehr übrig, der den König bändigen, besänftigen oder an sein – durchaus vorhandenes – Gewissen appellieren konnte. Gnadenlos presste er die Engländer aus, um für seine militärischen Unternehmungen immer neue Söldnerscharen anzuheuern, und weil er mit den Jahren fett geworden war, ging in England das Gerücht, er fräße all das Gold, das er anhäufte. Angesichts einer drohenden Däneninvasion 1085 (aus der nichts wurde) schickte William wieder einmal seine Steuereintreiber aus und war mit dem, was sie ihm brachten, unzufrieden. Darum beschloss er eine weitreichende Erhebung über seine widerspenstigen englischen Untertanen und ihren gesamten Besitz, um sich ein realistisches Bild über ihre Zahl und ihre Vermögensverhältnisse machen zu können. 1086 sandte er deshalb Scharen von Beamten aus (mit bewaffneter Eskorte, versteht sich), um die Engländer, ihr Vieh und ihre sonstigen Besitztümer zu zählen. Die Engländer waren natürlich empört über diesen unerhörten Verstoß gegen den Datenschutz. Aber die Historiker von heute würden William für die Durchführung dieses ehrgeizigen Projekts vermutlich die Füße küssen, wenn sie könnten, denn dieses gewaltige Statistikwerk, welches als Domesday Book in die Geschichte einging, liefert uns unschätzbare Informationen über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im normannischen England.
    Ende 1086 verließ William England, um neuerliche Streitigkeiten mit dem König von Frankreich auszutragen, und es spricht einiges dafür, dass er beschlossen hatte, das Problem ein füralle Mal aus der Welt zu schaffen, indem er sich Frankreich einverleibte. Bei der Einnahme von Mantes im Juli 1087 – nur noch einen Tagesmarsch von Paris entfernt – wurde William jedoch verwundet, als sein Pferd scheute und der König auf den Sattelknauf geschleudert wurde. Er zog sich schwere innere Verletzungen zu, denen er sechs qualvolle Wochen später, am 9. September 1087, erlag.
    Darum heißt Frankreich heute immer noch Frankreich und nicht die Süd-Normandie.
    Auf dringendes Anraten seiner Seelsorger hatte William auf dem Sterbebett eine Art Generalamnestie erlassen, sodass sich nach seinem Hinscheiden überall in England und der Normandie knarrend die Kerkertüren öffneten und seine Feinde ebenso wie die unschuldigen Opfer seiner Willkürherrschaft die Freiheit wiedererlangten, darunter auch sein Bruder Odo und Earl Morcar (Sie wissen schon, Godivas Enkel).
    Bei Williams Beerdigung brannte übrigens wieder einmal eine halbe Stadt nieder, genau wie bei seiner Krönung. Dieses Mal traf es das normannische Caen. Und als man den hünenhaften William in seinen steinernen Sarg betten wollte, erwies der sich als zu klein. Die Bestatter versuchten, den Leichnam irgendwie hineinzubugsieren, wobei der Leib aufplatzte. Das war ein ekliges und unverdientes Nachspiel, aber andererseits kann man wohl sagen: William machte im Leben eine bessere Figur als im Tode.
    Ein Nachruf, der längst nicht auf jeden seiner Nachfolger zutrifft.
    Alle mittelalterlichen Könige standen vor dem gleichen Dilemma: Sie brauchten Söhne, um den Fortbestand ihrer Dynastie zu sichern. Und weil die Kindersterblichkeitsrate auch in der Oberschicht sehr hoch war, mussten sie viele Söhne zeugen, um einigermaßen sicherzugehen, dass einer übrig blieb. Erreichten aber zwei oder gar mehr das Erwachsenenalter undüberlebten ihren Vater, waren Konkurrenzkämpfe und Rangeleien um die Nachfolge fast unvermeidlich. In den 200 Jahren nach der normannischen Eroberung geschah es tatsächlich nur zwei Mal, dass die englische Krone beim Tod des Königs an dessen ältesten überlebenden Sohn überging.
    1087 war keiner dieser zwei Ausnahmefälle. Die Normandie hatte William zähneknirschend dem rebellischen Robert, seinem Ältesten, hinterlassen. Aber die Königskrone erbte der Zweitälteste, William »Rufus«, der sich während der Revolten seines Bruders immer durch unerschütterliche Treue seinem Vater gegenüber ausgezeichnet hatte.
    Weil er wusste, dass diese Entscheidung seines Vaters nicht unangefochten bleiben würde, wartete Rufus nicht einmal dessen Beerdigung ab, ehe er mit den königlichen Insignien und schriftlichen Instruktionen seines toten Vaters an den Erzbischof von Canterbury nach England segelte. Er begab sich auf

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