Von Ratlosen und Löwenherzen
Kaplan mit einer Rute schlagen, bis Blut floss.
Die Friedensbemühungen, die vor allem der Papst vorantreiben wollte, waren von wenig Erfolg gekrönt, denn Henry und Thomas Becket waren einander in puncto Dickköpfigkeit absolut ebenbürtig. Als der König seinen ältesten Sohn Henry am 14. Juni 1170 nach dieser seltsamen französischen Sitte zum Juniorkönig krönen und die Zeremonie vom Erzbischof von York durchführen ließ, fühlte Becket sich übergangen und ausgebootet und drohte, alle an der Zeremonie beteiligten Bischöfe zu exkommunizieren und ganz England mit dem Interdikt zu belegen. Das war eine fürchterliche Drohung: Es hätte bedeutet, dass in England alle Kirchen geschlossen würden und niemand mehr die Messe besuchen oder die Sakramente empfangen konnte. Ein unerträglicher Zustand, der den König früher oder später zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen hätte.
Der Papst unternahm einen neuen Anlauf, und im Juli kam es in Fréteval zu einer persönlichen Aussprache zwischen König und Erzbischof. Die beiden alten Freunde sprachen lange miteinander, jeder auf seinem Pferd sitzend, und versöhnten sich schließlich. Aber es war eine brüchige Versöhnung, und König Henry verweigerte den wichtigen und symbolkräftigen Friedenskuss.
Am 1. Dezember 1170 landete Becket in Sandwich, und kaum hatte er einen Fuß auf englischen Boden gesetzt, machte er seine Drohung wahr und exkommunizierte drei Bischöfe, die er seine Feinde nannte. Als der König, der noch in der Normandie war, davon erfuhr, rastete er wieder einmal aus und brüllte. Wir wissen nicht genau, was. Vielleicht brüllte er: »Welch erbärmliche Schmarotzer und Verräter habe ich an meiner Brust genährt, die tatenlos zulassen, dass ihr Herr und König von einem lausigen Pfaffen mit so schändlicher Verachtung behandelt wird!« Vielleicht war es aber auch: »Befreit mich denn niemand von diesem lästigen Priester?«
Was immer er gesagt hat, vier seiner Ritter nahmen seinen Ausruf zum Anlass, sich umgehend nach England einzuschiffen. Sie stellten Thomas Becket am 29. Dezember in seiner Kathedrale in Canterbury. Becket hatte seinen Kaplänen und Mönchen verboten, die Türen zu versperren. Er vertraute auf Gott, sein hohes Amt und die Heiligkeit des Ortes. Furchtlos und arrogant trat er den vier Rittern entgegen, und als er sich der Verhaftung widersetzte, erschlugen sie ihn. Einer der Schwerthiebe trennte ein Stück der Schädeldecke ab, und die Mörder verteilten das erzbischöfliche Hirn auf dem geheiligten Boden. Wir sind so gut über die unappetitlichen Details informiert, weil es Zeugen und Zuschauer gab. Nur ein einziger hat versucht, Becket zu helfen.
Die Ermordung eines Erzbischofs auf geweihtem Boden war ein so monströses Verbrechen, dass es die Welt in ihren Grundfesten erschütterte. Das Ausmaß des Tabubruchs, den daraus resultierenden Schrecken und Abscheu können wir uns wahrscheinlich nicht vorstellen. Als der Papst davon hörte, weigerte er sich über eine Woche lang, auch nur das Wort an einen Engländer zu richten. Und er verhängte das gefürchtete Interdikt.
Als Henry von der Bluttat hörte, war er verzweifelt. Er beweinte den ermordeten Jugendfreund, und er wusste, die Folgen würden furchtbar sein. Drei Tage verbarrikadierte er sich und war für niemanden zu sprechen. Danach hatte er seinen Pragmatismus wiedergefunden. Er distanzierte sich öffentlich von dem Mord, eilte nach England und schloss dort alle Häfen, damit der päpstliche Legat, der, so fürchtete er, die Nachricht seiner Exkommunizierung bringen würde, nicht landen konnte. Dann brach er zu einem Feldzug nach Irland auf. Wahrscheinlich hoffte er, wenn er lange genug dort auf Tauchstation bliebe, würde Gras über die leidige Angelegenheit wachsen. Für die Iren war es jedenfalls ein bitterer Schicksalsschlag, denn sie wurden bei der Gelegenheit erobert und unterworfen.
Die Ermordung Thomas Beckets
Aber Thomas Becket hörte auch im Tode nicht auf, Henry Ärger zu machen. Sechs Tage nach seiner Ermordung, am 4.1.1171, wurde aus Canterbury die erste Wunderheilung gemeldet, diesein Blut angeblich vollbracht hatte. Mit diesem Tag begann eine Wallfahrtsindustrie, die sich nur mit dem heutigen Santiago-Rummel vergleichen lässt und Pilger aus der ganzen Christenheit in Scharen anlockte. Canterbury wurde steinreich, und erst mit der Reformation im 16. Jahrhundert endete der Spuk. Thomas Beckets Gebeine verschwanden nämlich spurlos und sind bis heute
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