Von Ratlosen und Löwenherzen
für die Sorgen und Nöte seiner Untertanen – auch der angelsächsischen –, und alles hätte so schön sein können, wäre der Erzbischof von Canterbury nicht gewesen.
Sein Name war Thomas Becket. Sohn eines normannischen Einwanderers, der es vom Bauern zum steinreichen Immobilienspekulanten im blühenden London gebracht hatte, hätte der junge Thomas sich vermutlich nie träumen lassen, dass er einmal Priester werden würde. Doch als all die schönen Immobilienseines alten Herrn ein Raub der Flammen wurden und die Familie über Nacht verarmte, entschloss sich Thomas, dort Karriere zu machen, wo es vor allem auf Grips ankam, denn davon hatte er reichlich. In den 1140ern kam er als Sekretär bei Theobald, dem Erzbischof von Canterbury, unter, in dessen Namen er einige Jahre später mit den Bürgerkriegsparteien verhandelte und dem jungen Henry den Weg auf den Thron ebnete.
So ist es kaum verwunderlich, dass Thomas Becket in den ersten Jahren nach der Krönung zu Henrys engsten Freunden und Beratern zählte, und er war über lange Zeit sein Lord Chancellor. Die Probleme fingen an, als Erzbischof Theobald starb und der König Thomas Becket zum Nachfolger auf dem mächtigen Bischofsstuhl von Canterbury bestimmte. Von heute auf morgen änderten sich Beckets Prioritäten: Die Belange der Kirche hatten mit einem Mal Vorrang vor denen der Krone.
Es gab eine Vielzahl von strittigen Punkten. Zum Beispiel die wichtige Frage, ob die weltliche oder kirchliche Gerichtsbarkeit zuständig war, wenn ein Mönch oder Priester straffällig wurde (was häufiger vorkam, als man glauben möchte). Doch wie so oft war es das liebe Geld, welches den offenen Streit auslöste. Als Henry 1163 zur Finanzierung eines Feldzugs in Frankreich die kirchlichen Landgüter besteuern wollte, legte Becket sein Veto ein. Henry kochte. (Er hatte das leicht entflammbare Temperament, für das fast alle Plantagenet berühmt waren. Es heißt, als er einmal beim Aufwachen wütend auf den König von Schottland war, habe er seine Bettdecke zerrissen und in seine Matratze gebissen.) Um es Becket zu zeigen, nahm er ihm seine Burgen und Ländereien in Berkhamsted und Eye weg. Daraufhin vereitelte Becket die Eheschließung zwischen Henrys Bruder Guillaume und der reichen, verwitweten Schwiegertochter des verstorbenen Königs Stephen (das erzbischöfliche Argument war von der ganz originellen Sorte: zu nah verwandt). Aus Rache hielt Henry sein weihnachtliches Hoffest ausgerechnet im Palast zu Berkhamsted, den Becket so geliebt und jetzt verloren hatte.
Dann starb Henrys Bruder Guillaume plötzlich im Januar 1164 – aus Kummer über die geplatzte Hochzeit, glaubte der König, und das, was bislang etwa so ernst wie eine Sandkastenstreiterei gewesen war, wurde ein bitteres Zerwürfnis.
Eine Konferenz in Clarendon, die die strittigen Fragen über die Machtverteilung zwischen Kirche und Krone regeln sollte, blieb ohne Erfolg. Becket wandte sich hilfesuchend an Papst Alexander III., aber der hatte ganz andere Sorgen. Er war in Frankreich im Exil, weil Kaiser Friedrich Barbarossa ihm einen Gegenpapst vor die Nase gesetzt hatte, und das Letzte, was Alexander wollte, war, sich mit Henry anzulegen, der der Souverän von nicht weniger als fünfzig Bischöfen in England und Frankreich war.
Henry rieb sich die Hände, zitierte den abtrünnigen Erzbischof nach Northampton und forderte ihn auf, über den Verbleib von 30 000 Pfund Rechenschaft abzulegen, die in Beckets Zeit als Lord Chancellor angeblichabhanden gekommen und nicht in den Büchern zu finden seien. Und zwar bitte Penny für Penny.
Statt klein beizugeben und sich Henry zu unterwerfen, hob Becket das Kreuz hoch, das er auf der Brust trug, und ging zur Tür. Niemand wagte, ihn aufzuhalten. Ungehindert verließ er nicht nur Northampton, sondern England. Er floh nach Flandern und leistete dem Papst als Gast des Königs von Frankreich Gesellschaft, was mit einem Mal die Freundschaft zwischen Henry und Friedrich Barbarossa über die Maßen förderte.
Es gab ein mehrjähriges diplomatisches Wirrwarr und Säbelrasseln. Becket genoss sein Exil und die internationale Aufmerksamkeit in vollen Zügen und lebte in einer eigentümlichen Mischung aus Luxus und Askese: Er trank nur die besten Weine, verdünnte sie aber immer mit Wasser. Er schlief auf Laken aus feinstem Leinen und hatte eine erlesene Garderobe, trug aber darunter ein Gewand aus kratzigem Ziegenhaar. Under ließ sich – angeblich – jeden Tag von seinem
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