Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
hygienischen Verhältnisse und das enge Zusammenlebenvor allem in den Städten oder den Lagern der Armeen schufen ideale Brutbedingungen für die verschiedensten Krankheitserreger. Aber diese Seuche, die man heute die Beulen- und die Lungenpest nennt, war etwas völlig Neues. Meistens fing es mit schmerzhaften Schwellungen in Achsel-und Leistengegend an, die sich bald schwärzlich verfärbten: die Pestbeulen. Hohes Fieber, Übelkeit, ab dem zweiten Tag oft ein schwärzlicher Hautauschlag und bei denjenigen, deren Lungen befallen wurden, Atemnot und Husten. Bei manchen ging es ganz schnell, und sie starben innerhalb weniger Stunden. Bei anderen dauerte es drei, manchmal bis zu fünf Tage. Das Ergebnis war immer das gleiche: Die Sterblichkeitsrate lag bei weit über neunzig Prozent.
    Rasend schnell breitete die Pest sich im ganzen Land aus und entvölkerte manchmal ganze Dörfer, beinah über Nacht. Der »Schwarze Tod« ging um. So nannten die Menschen diese Heimsuchung, die über die ganze bekannte Welt gekommen war. Die Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit der Menschen, sagten viele Geistliche. Ein Werk des Teufels, glaubten andere. Alle waren sich einig, dass es etwas sein musste, das nicht von dieser Welt war. Denn mit dem Schwarzen Tod begann in England der Regen, und sieben Monate – so lange, wie die Pest im Land wütete – hörte auch der Regen nicht mehr auf. (Noch gruseliger sollte diese Krankheit den Menschen werden, als sie feststellen mussten, dass sie alle sieben Jahre wiederkam, aber 1348 wusste das natürlich noch niemand.)
    Die Menschen starben in so großer Zahl, dass die Beseitigung der Leichen vor allem in den Städten ein unüberwindliches Problem wurde. Zwei adlige Wohltäter kauften ein großes Stück Land außerhalb von London, das bald das »Niemandsland« genannt wurde, wo die Toten in Massengräbern verscharrt wurden. Ganze Karrenladungen voller Leichen wurden in die Flüsse geworfen, und als die Stadtverwaltung allmählich zusammenbrach, weil auch die Stadtväter und die Ordnungshüter dahingerafft wurden, blieben die Toten einfach in ihren Häusern und auf der Straße liegen. Religiöse Besinnung war bei vieleneine Folge dieser Katastrophe, bei anderen hingegen totaler Sittenverfall. Die Zahl der Gewaltverbrechen stieg sprunghaft an, weil die verzweifelten Menschen glaubten, das Ende der Welt sei ohnehin gekommen und sie hätten nichts mehr zu verlieren.
    Viele hielten giftige Dämpfe für die Ursache der Seuche, trugen Fackeln und schaurige Vogelmasken, wenn sie durch die Straßen gingen, um sich davor zu schützen. Andere glaubten, eine ungünstige Sternenkonstellation habe die Pest ausgelöst. Niemand ahnte die wahre Ursache: eine bakterielle Infektion, vermutlich in China entstanden, über die Seidenstraße und die Meere nach Westen gekommen, durch Flöhe von Ratten auf Menschen übertragen.
    In Europa starb schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung. Die große Masse an der Krankheit selbst, viele aber auch an den teilweise dramatischen wirtschaftlichen Folgen. In England, so schätzt man, reduzierten die vorher sechs Millionen Einwohner sich etwa auf die Hälfte. Die Pest von 1348/49 wird völlig zu Recht die größte Katastrophe in der Geschichte des Mittelalters genannt.
    König Edward und Königin Philippa verloren ihre dreizehnjährige Tochter Joanna, die in Bordeaux auf ihren kastilischen Bräutigam gewartet hatte und stattdessen vom Schwarzen Tod heimgesucht wurde. Doch das englische Königspaar selbst, die übrigen Prinzen und Prinzessinnen und fast der ganze Hof blieben verschont, weil sie während der schlimmsten Monate weitgehend isoliert in Windsor lebten.
    Anfang der 1350er Jahre wurde der Krieg gegen Frankreich wiederbelebt. Jetzt war es vor allem der Schwarze Prinz, der ihn führte, der Aquitanien – sein Herzogtum – fast wieder auf seine einstige Größe ausweitete und bei einem neuerlichen grandiosen Sieg der Engländer über eine zahlenmäßig überlegene französische Armee bei Poitiers im Jahr 1356 den französischen König Jean II. gefangen nehmen konnte.
    Er schickte ihn nach England, wo König Edward – der auch schon seinen Schwager, den schottischen König David, als Geisel beherbergte – seinen Amtskollegen herzlich willkommen hieß und ihn nicht in Ketten legen und in den Tower sperren ließ, wie man vielleicht annehmen sollte, sondern zu Banketten einlud, mit ihm zur Jagd ritt und Turniere zu seiner Unterhaltung ausrichtete.

Weitere Kostenlose Bücher