Von Ratlosen und Löwenherzen
zuversichtlich, dass er sich erholen werde, denn ein Seher hatte ihm prophezeit, dass er in Jerusalem sterben werde. Trotz der Überzeugung, dass ihm praktisch nichts passieren konnte, solange er nur nicht wieder ins Heilige Land reiste, musste er einsehen, dass er zu krank war, um die Regierungsgeschäfte weiterzuführen.
Der steinalte Erzbischof von Canterbury wurde als Lord Chancellor durch den Halbbruder des Königs, der der Bischof von Winchester war, abgelöst. Dieser Bischof hatte das diplomatische und taktische Talent ihres Vaters, des Duke of Lancaster, geerbt und sollte Englands Politik in den nächsten dreißig Jahren entscheidend mitprägen. Sein Name war leider auch Henry: Er war Henry Beaufort, der mittlere der drei Söhne aus Lancasters Skandalehe mit seiner Mätresse Katherine Swynford. Dass den beiden nichts Besseres eingefallen war, als ihrem Sohn den gleichen Namen zu geben wie seinem Halbbruder, ist bedauerlich, aber sie haben vermutlich einfach nicht daran gedacht, ein bisschen Rücksicht auf die geschichtsinteressierte Nachwelt zu nehmen.Zurück zur Sache: Bischof Beaufort wurde der neue Lord Chancellor, und der zweiundzwanzigjährige Prinz Henry übernahm den Vorsitz im Kronrat. Sie machten ihre Sache hervorragend, aber als irgendein missgünstiger Schwätzer dem schwer kranken König zuflüsterte, sein Sohn wolle ihn zur Abdankung zwingen und ihm die Krone entreißen, entließ der Todkranke seinen Sohn und Bruder 1411 wieder aus ihren Ämtern. Im Mai des folgenden Jahres gab es gar ein Gerücht, Prinz Henry hebe Truppen aus, um seinen Vater gewaltsam zu entmachten. Vater und Sohn waren beide zutiefst gekränkt, beide fühlten sich vom anderen betrogen und ungerecht behandelt. Der Prinz schrieb dem König einen langen Brief, in welchem er alle Vorwürfe abstritt, dann erschien er persönlich vor dem König in London – sicherheitshalber mit großem Gefolge – und verlangte die Bestrafung derer, die ihn so schändlich verleumdet hatten.
Ob die Vorwürfe üble Nachrede waren oder ein Körnchen Wahrheit darin steckte, ist umstritten. Jedenfalls endete der schmuddelige Familienkrach am 20. März 1413, als König Henry starb. Übrigens im sogenannten Jerusalem-Zimmer der Abtei zu Westminster, womit die Prophezeiung des Sehers sich dann doch irgendwie noch erfüllte. Der Prinz war an der Seite seines Vaters und empfing dessen Segen, ehe der König starb.
Die Krone, die Henry 1399 so mühelos aus der noch nicht erfundenen Gosse gefischt hatte, hatte ihm nicht viel Glück gebracht. Die dreizehn Jahre seiner Regentschaft waren von Verrat, Aufständen und schwerer Krankheit überschattet. Aber er hinterließ seinem Sohn ein weitaus gefestigteres England, als er selbst von Richard übernommen hatte. Er hatte England innere Stabilität zurückgebracht, Wales und Schottland zumindest vorläufig befriedet, die Staatsfinanzen halbwegs saniert, weil er kein so heilloser Verschwender war wie Richard und den unbezahlbaren Krieg gegen Frankreich weniger auf dem Schlachtfeld weitergeführt hatte, sondern mehr am Verhandlungstisch,wo er die innerfranzösischen Konflikte zwischen Burgund und der Partei des Herzogs von Orléans nach Kräften geschürt hatte.
In gewisser Weise war Henry IV. ein tragischer König. Und ein König der leisen Töne. Mit Taktgefühl und Samthandschuhen führte er das Parlament, seinen Kronrat und seine temperamentvollen Söhne und bereitete so die Bühne für den größten Heldenkönig, der England je beschert wurde.
Bei der Krönung Henrys V. am 9. April 1413 gab es heftige Gewitter mit Hagel, Sturmböen – sogar Schneegestöber.
Niemand war überrascht.
Dieser König war ein äußerst ungestümer Prinz gewesen. Die Darstellung seiner jugendlichen Ausschweifungen ist in der Vergangenheit vielleicht oft übertrieben worden, aber trotzdem dürfen wir getrost davon ausgehen, dass er in den meisten der Londoner Wirts- und Hurenhäuser kein Fremder war, und einmal wurde er wegen nächtlicher Ruhestörung und ungebührlichen Betragens in der Öffentlichkeit verhaftet und einem Londoner Richter vorgeführt, der ihm eindringlich ins Gewissen redete, ehe er ihn wieder laufen ließ. Außerdem war Henry seit seinem 13. Lebensjahr Soldat.
Das extreme Wetter bei seiner Krönung (bei deren Bankett die Speisen von Dienern hoch zu Ross aufgetragen wurden) hielten viele also nur für einen Vorgeschmack auf die stürmischen Regierungsjahre, die ihnen bevorstanden.
Doch Henry überraschte seine
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