von Schirach
Schnapsflasche, die er im Supermarkt
gekauft hatte. Der Wind trieb Sand gegen den Wagen. Hier war überall Sand, ein
paar Zentimeter unter dem Gras. Er kannte das alles, er war hier aufgewachsen.
Sie würde irgendwann aus dem Haus kommen und bis zur Bushaltestelle laufen.
Vielleicht würde sie wieder ein Kleid tragen, ein leichtes, am liebsten das
mit den gelben und grünen Blumen.
Er dachte daran, wie er sie
angesprochen hatte. An ihr Gesicht, an ihre Haut unter dem Kleid und daran, wie
groß sie war und wie schön. Sie hatte ihn kaum angesehen. Er hatte gefragt, ob
sie etwas trinken wolle. Er war nicht sicher, ob sie es verstanden hatte. Sie
hatte ihn ausgelacht. »Du bist nicht mein Typ«, hatte sie geschrien, weil die
Musik zu laut war. »Leider nicht«, hatte sie noch gesagt. Er hatte mit den
Schultern gezuckt, als ob es ihm nichts ausmache. Und gegrinst hatte er. Was
hätte er sonst tun sollen. Dann war er zurück zu seinem Tisch gegangen.
Heute würde sie sich nicht über ihn
lustig machen. Sie würde tun, was er wollte. Er würde sie besitzen. Er stellte
sich vor, wie sie Angst haben würde. Die Tiere, die er getötet hatte, hatten
auch Angst gehabt. Er hatte es sehen können. Sie rochen anders, kurz vor ihrem
Tod. Je größer sie waren, umso mehr Angst hatten sie. Vögel waren langweilig,
Katzen und Hunde waren besser, sie wussten, wenn es ans Sterben ging. Aber
Tiere konnten nicht sprechen. Sie würde sprechen. Es würde darauf ankommen, es
langsam zu machen, um möglichst viel davon zu haben. Das war das Problem: Es
durfte nicht schnell gehen. Wenn er zu aufgeregt war, würde es schieflaufen.
So wie bei seiner allerersten Katze, er hatte schon nach der Amputation der
Ohren nicht an sich halten können und viel zu früh wahllos auf sie
eingestochen.
Das Sezierbesteck war teuer gewesen,
aber es war vollständig, inklusive Knochenschere, Schädelspalter, Knorpelmesser
und Kopfsonden. Er hatte es im Internet bestellt. Er konnte den Anatomieatlas
fast auswendig. Er hatte alles in sein Tagebuch geschrieben, vom ersten Treffen
in der Diskothek bis zum heutigen Tag. Er hatte heimlich Fotos von ihr gemacht
und ihren Kopf auf Pornobilder geklebt. Er hatte die Linien, die er schneiden
wollte, eingezeichnet. Mit schwarzen unterbrochenen Strichen, wie im
Anatomieatlas.
Sie trat aus der Tür, er machte sich
bereit. Als sie die Gartentür hinter sich schloss, stieg er aus dem Wagen. Das
würde der schwierigste Teil werden. Er musste sie zwingen mitzukommen, sie
durfte nicht schreien. Er hatte alle Varianten aufgeschrieben. Die
Aufzeichnungen, die Bilder der jungen Frau, der getöteten Tiere und Hunderte
von Splatterfilmen fand die Polizei später im Keller bei seinen Eltern. Die
Beamten hatten das Haus durchsucht, als sie sein Tagebuch und das Sezierbesteck
in seinem Auto fanden. Er hatte im Keller auch ein kleines Chemielabor - seine
Versuche, Chloroform herzustellen, waren vergeblich gewesen.
Der Mercedes erfasste ihn mit der
rechten Seite, als er aus seinem Wagen stieg. Er flog über die Kühlerhaube,
prallte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und blieb links neben dem Auto
liegen. Auf dem Weg ins Krankenhaus starb er. Er war 21 Jahre alt geworden.
Ich verteidigte den Fahrer des
Mercedes. Er bekam ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung wegen fahrlässiger
Tötung.
Der Andere
Paulsberg stand neben seinem Auto.
Wie jeden Abend war er auf dem Weg nach Hause abgebogen und hoch auf die
kleine Anhöhe zu seiner alten Esche gefahren. Hier hatte er als Kind oft
gesessen, im Schatten des Baumes, hatte Figuren aus Holz geschnitzt und die
Schule geschwänzt. Er ließ die Fenster herunter, die Tage wurden schon wieder
kürzer, die Luft kälter. Es war still. Der einzige Moment des Tages. Das
Mobiltelefon war ausgeschaltet. Er konnte von hier aus sein Haus sehen, das
Haus, in dem er aufgewachsen war, der Urgroßvater hatte es gebaut. Es war hell
erleuchtet, die Bäume im Garten angestrahlt, er sah die Wagen am Weg stehen. In
ein paar Minuten würde er dort sein, die Gäste würden bereits warten, er würde sich über all den Unsinn unterhalten müssen, den
gesellschaftliches Leben ausmacht.
Paulsberg war jetzt 48. Er besaß in Deutschland und Österreich siebzehn große
Ladengeschäfte, teure Bekleidung für Herren. Sein Urgroßvater hatte die
Strickwarenfabrik hinten im Tal gegründet, Paulsberg hatte alles über Stoffe
und Schnitte schon als Kind gelernt. Er hatte die Fabrik verkauft.
Er
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