von Schirach
dachte an seine Frau. Sie würde alle unterhalten, elegant, schmal,
hinreißend. Sie war 36, Anwältin in einer internationalen Kanzlei, schwarzes
Kostüm, die Haare offen. Er hatte sie im Flughafen in Zürich kennengelernt. Sie
hatten gemeinsam an der Cafebar auf das verspätete Flugzeug gewartet, er hatte
sie zum Lachen gebracht. Sie hatten sich verabredet. Zwei Jahre später hatten
sie geheiratet, acht Jahre war das her. Die Dinge hätten gut gehen können.
Aber
dann war die Sache in der Hotelsauna passiert und hatte alles verändert.
Seit
ihrer Hochzeit fuhren sie jedes Jahr für ein paar Tage in das Alpenhotel in
Oberbayern. Sie mochten diese Entspannung, schlafen, wandern, essen. Das Hotel
bekam Auszeichnungen für den »Wellnessbereich«. Es gab Dampfbäder und finnische
Saunen, Innen- und Außenpools, Massagen und Fangopackungen. In der Parkgarage
standen Mercedes, BMW, Porsche. Man war unter sich.
Paulsberg
hatte wie die meisten Männer seines Alters einen Bauchansatz, seine Frau hatte
sich besser gehalten. Er war stolz auf sie. Sie saßen in der Dampfsauna. Er
beobachtete den jungen Mann, der seine Frau anstarrte, schwarze Haare, ein
Südländer, vielleicht Italiener, gut aussehend, glatte Haut, gebräunt, etwa 25. Der Fremde betrachtete seine
Frau wie ein schönes Tier. Sie war irritiert. Er lächelte sie an, sie sah zur
Seite. Dann stand er auf, sein Penis war halb erigiert, er ging Richtung
Ausgang, dann blieb er vor ihr stehen, drehte sich zu ihr, sein Geschlecht vor
ihrem Gesicht. Paulsberg wollte gerade eingreifen, als er sich ein Handtuch um
die Hüften wickelte und ihm zunickte.
Später auf dem Zimmer machten sie Witze über die Situation. Sie sahen den
Fremden beim Abendessen, Paulsbergs Frau lächelte ihn an und wurde rot. Den
Rest des Abends sprach das Ehepaar über den Fremden, und nachts stellten sie
sich vor, wie es mit ihm wäre. In dieser Nacht schliefen sie seit Langem wieder
miteinander. Sie hatten Angst und Lust.
Am nächsten Tag gingen sie wieder zur gleichen Zeit in die Sauna, der
Fremde wartete bereits. Sie öffnete ihr Handtuch schon an der Tür, sie ging
langsam und nackt an dem Fremden vorbei, sie wusste, was sie tat, und sie
wollte, dass er es wusste. Er stand auf und stellte sich wieder vor sie. Sie
saß auf der Bank. Sie sah erst ihn an, dann Paulsberg. Paulsberg nickte
langsam, er sagte laut: »Ja.« Sie nahm den Penis des Fremden in die Hand.
Paulsberg sah im Dampf der Sauna die rhythmische Bewegung ihres Armes, er sah
den Rücken des jungen Mannes vor seiner Frau, er glänzte oliv und feucht.
Niemand sprach, er hörte den Fremden keuchen, der Arm seiner Frau wurde
langsamer. Dann drehte sie sich zu Paulsberg, sie zeigte ihm das Sperma des
Fremden auf ihrem Gesicht und ihrem Körper. Der Fremde nahm sein Handtuch, er
verließ wortlos die Sauna. Sie blieben zurück in der Hitze.
Sie probierten es zuerst in öffentlichen Saunen, dann in Swingerclubs, und
am Ende schalteten sie Anzeigen im Internet. Sie stellten Regeln auf: keine
Gewalt, keine Liebe, kein Treffen zu Hause. Sie wollten alles abbrechen, wenn
einer von beiden sich nicht wohlfühlen würde. Sie brachen nie etwas ab. Am
Anfang schrieb er die Anzeigen, dann übernahm sie es, sie stellten maskierte
Fotos auf die Webseiten. Nach vier Jahren kannten sie sich aus. Sie hatten ein
Hotel auf dem Land gefunden, das diskret war. Sie trafen sich dort an den
Wochenenden mit Männern, die ihnen auf ihre Annoncen geantwortet hatten. Er
sagte, er stelle seine Frau zur Verfügung. Sie glaubten, es sei ein Spiel,
aber nach den vielen Treffen war es kein Spiel mehr, es war ein Teil von ihnen
geworden. Seine Frau war immer noch Anwältin, sie war immer noch strahlend und
unnahbar, aber an den Wochenenden wurde sie zum Objekt, das andere benutzten.
Sie wollten es so. Es war einfach da gewesen, es gab keine Erklärung.
Der Name in der E-Mail hatte ihm nichts gesagt, auch das Foto konnte er
niemandem zuordnen, er sah die Bilder, die die Männer schickten, längst nicht
mehr an. Seine Frau hatte dem Mann zurückgeschrieben, nun stand er vor ihnen
in der Hotelhalle: Paulsberg kannte ihn aus der Schule, flüchtig, 35 Jahre war das her. Sie hatten
dort nichts miteinander zu tun gehabt, er war in der Parallelklasse. Sie
setzten sich auf die Barhocker der Lobby im Hotel und erzählten sich die Dinge,
die sich Schulfreunde immer erzählen, sie sprachen von alten Lehrern, von
Freunden, die sie gemeinsam kannten und versuchten die
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