von Schirach
auf einem Holzstuhl wieder zu sich. Er war nackt und gefesselt.
Es war ein feuchter, fensterloser Raum. Atris bekam Angst. Jeder in Kreuzberg
hatte schon von diesem Keller gehört. Er gehörte Muhar El Keitar. Alle wussten,
dass El Keitar gerne folterte. Man sagte, er habe die Technik im Krieg im
Libanon gelernt. Es gab viele Geschichten dazu.
»Was soll das?«, fragte Atris die beiden Männer, die vor ihm auf einem
Tisch saßen. Seine Zunge war pelzig und geschwollen. Zwischen seinen Beinen
stand eine Autobatterie mit zwei Kabeln.
»Warte«, sagte der Jüngere.
»Auf was soll ich warten?«
»Warte einfach«, sagte der Ältere.
Zehn Minuten später kam Muhar El Keitar die Treppe runter. Er sah Atris an.
Dann schrie er die beiden Männer an.
»Ich habe euch schon tausendmal gesagt, ihr sollt die Plastikplane unter
den Stuhl legen. Wieso begreift ihr das nie. Das nächste Mal sage ich nichts,
dann könnt ihr ja sehen, wie ihr die Sauerei wegmacht.«
Tatsächlich wollte Muhar El Keitar nicht foltern. Fast immer reichte schon
der Satz, um seine Opfer zum Sprechen zu bringen.
»Was willst du, Muhar?«, fragte Atris. »Was soll ich tun?«
»Du hast ein Auto geklaut«, sagte El Keitar.
»Nein, ich habe kein Auto geklaut. Die Jungs haben es geklaut. Der andere
Maserati war voller Scheiße.«
»Gut, verstehe ich«, sagte El Keitar, obwohl er es nicht verstand. »Du
musst das Auto bezahlen. Es gehört einem Freund.«
»Ich bezahle.«
»Und du bezahlst eine Entschädigung für meinen Aufwand.«
»Natürlich.«
»Wo ist dein Geld?«
»In einem Schließfach im Hauptbahnhof.« Atris hatte inzwischen verstanden,
dass es keinen Sinn hatte, lange Geschichten zu erzählen.
»Wo ist der Schlüssel«, sagte Muhar El Keitar.
»In meinem Portemonnaie.«
»Ihr seid Idioten«, sagte Muhar El Keitar zu den beiden Männern. »Wieso
habt ihr ihn nicht durchsucht? Alles muss man selber machen.«
El Keitar ging zu Atris' orangenem Müllanzug.
»Wieso hast du den Müllanzug?«, sagte Muhar El Keitar.
»Das ist auch eine lange Geschichte.«
Muhar El Keitar fand den Geldbeutel und darin den Schlüssel.
»Ich gehe selbst zum Bahnhof. Ihr passt auf ihn auf«, sagte er zu seinen
Männern und dann zu Atris: »Wenn das Geld da ist, kannst du gehen.«
Er ging die Treppen nach oben. Dann kam er sie rückwärts wieder runter. Er
hatte eine Pistole im Mund. Die beiden Männer El Keitars griffen nach den
Baseballschlägern.
»Legt sie wieder hin«, sagte die Frau mit der Pistole.
Muhar El Keitar nickte heftig.
»Wenn wir alle ganz ruhig sind, passiert niemandem etwas«, sagte die Frau.
»Wir werden unsere Probleme jetzt gemeinsam lösen.«
Eine halbe Stunde später saßen Muhar El Keitar und der ältere seiner Männer
mit Kabelbindern aneinandergefesselt auf dem Boden des Kellers, ihre Münder
waren mit Paketklebeband verschlossen. Der Ältere hatte nur noch seine Unterhose
an, Atris trug jetzt dessen Sachen. Der Jüngere saß in einer riesigen
Blutlache. Er hatte einen Fehler gemacht und einen Totschläger aus der Tasche
gezogen. Die Pistole der Frau war noch im Mund von El Keitar gewesen. Mit der
linken Hand hatte sie aus der Bauchtasche ihres Shirts ein Rasiermesser
gezogen, aufgeklappt und tief in die Innenseite seines rechten Schenkels
geschnitten. Es ging schnell, er hatte kaum etwas wahrgenommen. Er war sofort
zu Boden gegangen.
»Ich habe deine große Beinschlagader durchtrennt«, hatte sie gesagt. »Du
wirst jetzt ausbluten, es dauert sechs Minuten. Dein Herz wird das Blut immer
weiter aus deinem Körper pumpen. Zuerst wird dein Gehirn nicht mehr versorgt,
du wirst bewusstlos.«
»Hilf mir«, hatte er gesagt.
»Jetzt kommt die gute Nachricht: Du kannst überleben. Es ist einfach: Du
musst in die Wunde greifen, mit den Finger findest du das Ende der Arterie. Du
musst sie zwischen Daumen und Zeigefinger zudrücken.«
Der Mann hatte sie ungläubig angesehen. Die Lache war größer geworden.
»An deiner Stelle würde ich mich beeilen«, hatte sie gesagt.
Er hatte in seiner Wunde gewühlt. »Ich find sie nicht, verdammt, ich finde
sie nicht!« Dann hatte es plötzlich aufgehört zu bluten. »Ich hab sie.«
»Du darfst jetzt nicht mehr loslassen. Wenn du weiterleben willst, musst du
sitzen bleiben. Irgendwann wird ein Arzt kommen. Er wird mit einem kleinen
Stahlclip die Arterie wieder schließen. Also halt still.«
Und zu Atris hatte sie gesagt: »Wir gehen jetzt.«
Atris und die Frau fuhren mit dem
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