Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
nicht in Ruhe unterhalten.«
»Im Salon auch nicht, denn dort sitzen die Kartenspieler. Wir können ja mal in der Bibliothek nachschauen.«
»Die Bibliothek«, meinte Elizabeth mit grimmiger Miene. »Natürlich.«
Kaum in dem Raum angekommen, in dem sich erwartungsgemäß niemand außer ihnen befand, schloss Lucy die Tür ab, während ihre Freundin betreten dastand und am liebsten zum Ausdruck ihrer Verzweiflung die Hände gerungen hätte. So krallte sie bloß die Finger in den empfindlichen Satin ihres Rockes und zerknüllte ihn vermutlich hoffnungslos.
Bei dem Gedanken daran musste sie ein Lachen unterdrücken. Wenn ihr Kleid Peters Hände und die Steinbank ohne größeren Schaden überlebt hatte, konnte es so schlimm gar nicht mehr werden.
Als sie Lucy schließlich in das erwartungsvolle Gesicht schaute, empfand sie erneut Schuldgefühle der Freundin gegenüber, die zwar vieles wusste, aber eben nicht alles. Insbesondere ahnte sie nichts von den Gefühlsstürmen, die Peter regelmäßig bei ihr auslöste. Ob sie das gutheißen würde? Schließlich wollte sie Elizabeth mit ihrem Bruder verkuppeln.
»Wie läuft es?«, fragte Lucy. »Warst du mit Mr Derby draußen?« Sie hob als Beweis das Blatt in die Höhe.
Elizabeth nahm es und warf es in den kalten Kamin. »War ich.«
»Und?«
»Siehst du noch andere Blätter oder Zweige?«
Lucy ging um sie herum. »Was hast du gemacht? Bist du hingefallen?«
»Nein, ich saß auf einer Bank. Und habe mich von Peter küssen lassen.«
»Oooh! Wie aufregend!«
»Lucy, ich werde Peter nicht heiraten. Schon vergessen?«
»Ich weiß, doch mit meinem Bruder bist du auch nicht verlobt. Es gibt also keinen Grund verlegen zu sein, weil du einen Mann geküsst hast.«
»Dabei erwischt zu werden, wie man jemanden küsst, kann sehr schnell zu einer Verlobung führen.«
»Du bist bereits verlobt«, erwiderte Lucy. »Zumindest denken das alle. Warum nehmen alle das Küssen immer so wichtig?«
»Wegen dem, wozu es führt«, wisperte Elizabeth und schlang die Arme um ihren Oberkörper.
Lucys Lächeln verblasste. »Zu was führt es denn, Elizabeth?«
»Zu weit jedenfalls. Männern gefällt es, eine Frau zu berühren. Und es fühlt sich wirklich viel zu gut an, auch wenn es sündig ist. Erinnerst du dich noch daran, was für ein schönes Gefühl es war, das erste Mal mit einem Mann zu tanzen?«
Lucy nickte verunsichert.
»Es ist viel, viel besser als das.«
»Ich dachte, du bist nicht in Peter Derby verliebt.«
»Stimmt, und er nicht in mich. Aber das scheint keine Rolle zu spielen. Es war, als hätte mein Körper seinen eigenen Willen, gegen den sich nichts ausrichten lässt.«
Entsetzt riss Lucy die Augen auf. »Hat er dich … ruiniert?«
»Gütiger Himmel, nein! Ich habe dem Ganzen rechtzeitig Einhalt geboten, ehe es zu weit ging. Aber zumindest weiß ich jetzt ein bisschen darüber, was Männer mögen.«
»Und du meinst, William mag es ebenfalls?«
»Da bin ich mir sicher.«
Lucy verzog das Gesicht. »Ich kann mir meinen Bruder gar nicht nur mit einer Frau vorstellen. Der Gedanke ist irgendwie unnatürlich. Er zieht immer in größeren Gruppen herum.«
Elizabeth musste gegen ihren Willen lachen. »Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich sollte es unbedingt irgendwie einrichten, William bei Gelegenheit alleine anzutreffen. Du willst das doch auch, oder?«
»Nun ja, schon – ich kann es mir bloß nicht vorstellen.«
»Und ich will es mir lieber nicht vorstellen.«
»War es so schrecklich?«
»O nein, das ist ja das Problem. Es ist gefährlich. Wie soll man jemandem wieder unter die Augen treten, wenn man die ganze Zeit daran denkt, was er sich Unerhörtes herausgenommen hat – und welche verbotenen Gefühle seine Berührungen ausgelöst haben?«
Peter war spät und frustriert schlafen gegangen, und das nicht nur wegen seines schmerzhaften Verlangens nach Elizabeth. Trotzdem wachte er früh auf und kleidete sich sofort an, um einen Ausritt zu unternehmen.
Er hatte zwar nichts Neues über ihre Geheimnisse in Erfahrung bringen können, wusste jetzt aber zumindest, dass seine Berührungen sie nicht gleichgültig ließen. Dass sie seine Küsse genoss, schön und gut, doch die Intimitäten des gestrigen Abends standen auf einem ganz anderen Blatt. Sie war so wundervoll empfänglich gewesen für seine Zärtlichkeiten – warum bloß erkannte sie nicht, dass sie füreinander bestimmt waren?
Im vergangenen Jahr war er vielen Frauen begegnet, die es nicht wert waren,
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