Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
sein Mantra OM AMI DEWA HRIH 100000-mal. Schon bald spüren viele Menschen bei dieser Vorbereitung, dass sich »etwas« oberhalb ihrer Köpfe aufbaut, was ihnen Gutes wünscht und wo sie hingehen möchten. Kann man noch dazu als Ergänzung die sehr wirksame Reinigung durch den Buddha-Diamantgeist und dessen 100- oder sechssilbiges Mantra durchführen – womit die gröbsten Hindernisse entfernt werden –, ist man für das Phowa sehr gut vorbereitet.
Am Anfang eines fünftägigen Phowa-Kurses – der unter schwierigeren Umständen oder bei Tausenden von Teilnehmern mitunter sechs Tage dauern kann – wird das buddhistische Grundwissen zum Geist aufgefrischt. Danach werden die Lehren zum Tod und Zwischenzustand und die Zuflucht gegeben. Nach weiteren Erklärungen und Fragen und einer geleiteten Meditation folgt dann die Übertragung (Gomlung) für das Phowa. Man meditiert drei mal drei Stunden über den Tag verteilt, während man das Bewusstsein zum Roten Buddha hochschickt. Nach neun bis zwölf solcher Sitzungen werden die »äußeren« Zeichen auf dem Scheitel der neuen Teilnehmer sichtbar, während die »inneren« Erfahrungen – die Zweifel und Glücksgefühle – abflachen und das »geheime« Zeichen – die daraus entstehende Gewissheit – auch nach der Übung weitergeht. Die Übung bringt deutliche und sichtbare Zeichen. So entstehen auf der Schädeldecke kleine Blutflecke, Risse oder Eiterpickel, die meistens ungefähr acht Finger breit hinter dem ursprünglichen Haaransatz zu sehen sind. Wenn der Lama auf den Punkt oder den kleinen Riss zeigt, verursacht schon eine leichte Berührung einen eindeutigen Schmerz, der sich oft in den Zentralkanal durch den Körper hinunterzieht. Man vergisst dieses Gefühl nicht mehr, und die Bewusstheit der inneren Achse hilft bei der Körperhaltung in jeder weiteren Meditation. Auch nach dem Kurs erinnert einen mitunter ein Ziehen einiger Haare oder das Gefühl von einer Ameise auf dem Scheitel an den jetzt offenen Weg in die Reinen Buddhabereiche. Hier wird übrigens der Wert der zielgerichteten westlichen Ausbildung deutlich: Obwohl vor allem ältere Tibeter wegen ihrer Hingabe oft sehr kraftvolle Zeichen aufweisen, brauchen Westler häufig weniger Zeit, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen.
Die körperlichen Erscheinungen sind wie erwähnt faszinierend, aber für die Übenden sind vor allem die inneren Zeichen erkennbar. Es sind oft starke Erinnerungen oder beeindruckende Gefühlsschwankungen.
Der Geist kann sowohl wissen als auch tun. Da in ihm Gewahrsein und Energie zusammenkommen und zwei Seiten derselben Ganzheit ausmachen, wird eine solche Belebung von der Kraft des Geistes starke Gefühle von Segen und Glück mit sich ziehen sowie Augenblicke, in denen sich alles als Reinigung anfühlt oder Todesangst aufkommt. Tief gespeicherte Eindrücke werden durch das wiederholte Hochschicken des Geistes freigesetzt, und da das Heraustreten aus dem Körper einen riesigen Sprung ins Unbekannte darstellt, der in Befreiung mündet, steigt zudem das Vertrauen in den Lehrer und die Mittel des Diamantweges.
Die knappe Woche des ersten Phowa-Kurses wird von vielen als die bedeutendste Zeit ihres Lebens empfunden, und die beglückten Gesichter sowie das erstaunte Zurückzucken, wenn ich die Öffnung auf ihren Köpfen berühre, geben ein dauerhaftes Vertrauensband. Man erhält hier eine tiefe Sicherheit in Bezug auf das eigene Sterben und einen Eindruck von den vielen wunderschönen Erfahrungen, die nach dem Tod auf einen warten. Da diese vor allem dann auftreten, wenn man vergisst, irgendetwas zu wollen oder zu sein, sind sie besonders überzeugend. Jenseits von Vorstellungen, von Festhalten oder Wegschieben, treten die Bilder vor den Erleber, werden als traumähnlich und als Möglichkeiten des Geistes erkannt und befreien sich, ohne Erwartung oder Befürchtung zu verursachen, als bloßes Wissen in den Raum. Solche Erfahrungen der Freiheit bleiben gespeichert und entfalten sich umso wirksamer, je mehr man übt. In Augenblicken wird so das leuchtende Gewahrsein erfahren, das zwischen und hinter den Gedanken ist und diese erkennt. Obwohl die Gewohnheitswelt danach wieder zuklappt, hat man jetzt mehr »Luft« darin, steigt vom engen Entweder-oder immer fließender auf das große Win-win des Sowohl-als-auch um. Schließlich in seiner Mitte angelangt und über seine volle Kraft verfügend, kann man wie der tibetische Verwirklicher Rechungpa vor über 800 Jahren nach einem
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