Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Sterben sie mit vielen Krankheiten oder unter großen Schwierigkeiten, reinigen sie – kraft ihres Mitgefühls und der Fähigkeit, sich ungetrennt von anderen zu sehen – die künftigen Leiden ihrer Schüler.
Was ist eigentlich unter der Kunst des Sterbens zu verstehen? In meinen Augen geht es um dreierlei: Man ist in der Lage, seinen Geist im Sterbeverlauf derart zu beherrschen, dass dieser stabil, freundlich und klar bleibt. Man stellt gleichzeitig ein Beispiel dar, das andere ermutigt, die buddhistischen Mittel zu nutzen. So verstärkt man das Vertrauen bei anderen in ihre Fähigkeiten und die Lehre. Und als Krönung nutzt man die vereinfachten Bedingungen des Geistes im Sterbevorgang für die eigene Befreiung bzw. Erleuchtung.
Hohe buddhistische Verwirklicher haben bereits während dieses oder früherer Leben das Wesen des Geistes erkannt, für sie ist daher das Sterben nichts Außergewöhnliches. Ihr Tod wird gerne verglichen mit dem Aufwachen oder dem Zerbrechen eines Gefäßes; da die Luft innen und außen dieselbe ist, gibt es keinerlei Unterschied zwischen Gewahrsein hier und da. Für ihre Schüler und Außenstehende sind sinnvolle Leben mit flottem Ende aber gute Beweise, dass sich ein bewusstes Dasein lohnt. Mit der Belehrung verbunden, dass Wahrheit alles durchdringt und alle letztendlich Buddhas sind, wird die Sichtweise von Weg und Ziel richtungweisend im Leben.
Als meine edle Frau Hannah und ich 1968 in den damals touristenfreien Himalaja fuhren und mit späteren jährlichen Besuchen fast vier Jahre dort verweilen konnten, hatten wir das riesige Glück, von vielen der 1959 aus Tibet geflüchteten und schon damals älteren Meditationsmeister als Schützer der Lehre wiedererkannt, herzlich angenommen und tiefgründig belehrt zu werden. Wir erlebten und hörten später vieles von ihrem Ableben aus erster oder zweiter Hand. Dem Inhalt dieses Buches entsprechend möchte ich ein paar Beispiele einiger dieser Lehrer wiedergeben, die auf eine ungewöhnliche Weise bewusst gestorben sind. Wem diese Lebensenden allerdings zu märchenhaft klingen, soll wissen, dass die Erzählungen keine Glaubenssätze sind, und wer sie als Geschichten abtut, ist deswegen kein schlechter Buddhist.
Um voll im Feld der Lehre zu stehen, genügen drei Überzeugungen: ein absolutes Ziel, den Buddhazustand, die Mittel, die einen dorthin bringen, und die verwirklichten Freunde auf dem Weg. Wer sich besonders schnell entwickeln möchte, öffnet sich zusätzlich einem verwirklichten Lehrer und entwickelt Hingabe zu ihm. [42]
Abgesehen von dieser Ausrichtung braucht der Buddhist für seinen Weg zur Erleuchtung nichts, alles Weitere, wie die folgenden Sterbegeschichten, sind Zugaben. Man kann ihre Wirklichkeit anzweifeln, sie bildlich verstehen oder sie als Kraftquelle für mehr Meditation verwenden.
Es gab über die Jahrtausende viele große Meister, die mit ihrem Tod bewusst zeigten, was alles mit Buddhas Mitteln möglich ist, und ihre tiefe Einsicht in die Leerheit aller Erscheinungen oft als verschiedene ungewöhnliche Ereignisse in der äußeren Welt ausdrückten. Manchmal erhellt sich bei ihrem Tod der Himmel, oder es erscheinen Regenbogen, manchmal lösen sie sich einfach selbst in einem Regenbogen auf und lassen nur Haare und Nägel zurück. In Tibet selbst waren Todesfälle, bei denen sich große Verwirklicher in Regenbogenlicht auflösten oder oft jahrelang nach ihrem Ableben in Meditationshaltung in ihrem Körper verharrten, ohne dabei Anzeichen der Verwesung zu zeigen, keineswegs unüblich. Eine heutige Erklärung zum Regenbogenkörper wäre wohl, dass sie Masse in Energie umwandeln, und Quantenphysiker wie Anton Zeilinger hätten sicher große Freude, ihre Theorien auch auf dieser Ebene verwirklicht zu sehen.
Sabtju Rinpoche
Abb. 32 Sabtju Rinpoche
In den Jahren nach der Flucht von 85000 Tibetern vor den Chinesen über den Himalaja im Jahre 1959 häuften sich sehr ungewöhnliche Sterbeberichte. Hier kam der Tod vor allem durch die Tuberkulose, die den empfindlichen Höhenlungen der Tibeter zusetzte und Tausende von ihnen in den feuchten Flüchtlingslagern südlich der Berge dahinraffte. Im bekannten Swayambhu-Tempel Shamar Rinpoches direkt neben dem Stupa im Kathmandutal starb unter anderem dessen Leiter, Sabtju Rinpoche, der auch Hannahs und mein Lehrer war. Er lehrte uns 1972 auf Karmapas Geheiß hin die Mittel des »friedvollen wie zornvollen Atmens«. Wie viele Verwirklicher aus den ersten Jahren auch
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