Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Segen Milarepas sagen: »Jetzt brauche ich nichts von niemandem!« Die gröbsten Schleier fallen damit weg, und man macht immer häufiger Erfahrungen, die keine Begriffe brauchen. Grundlegend ist hier die Erkenntnis, dass der Erleber zeitlos Geburt wie Tod umfasst, und daraus erwächst ein zunehmendes Vertrauen. Die über 70000 Menschen, denen ich von 1987 bis 2010 weltweit das Phowa beigebracht habe, stimmen sicherlich diesen Beschreibungen zu. Nichts ist dann wie zuvor, alles bekommt Sinn und Bedeutung.
Das dritte und »geheime« Merkmal, das durch das Phowa entsteht, sieht oft nur der Lehrer. Es bleibt den Übenden vorerst verborgen, da sie genügend äußere wie innere »Filme« verarbeiten. Auch ist nicht jeder gewohnt, die Tiefen des eigenen Geistes zu erkunden. Dieser geheime Sprung in die Furchtlosigkeit wird nicht, wie in unserer Kultur zu erwarten wäre, in den Augen der Menschen sichtbar. Er zeigt sich stattdessen meist sehr anziehend um den Mund herum, wo sich Dutzende von Muskeln deutlich entspannen. Oft entdecken die Teilnehmer eines Kurses erst später, dass sie auf wichtigen Gebieten Überschuss und auch ihre Mitte gefunden haben, dass eine unerschütterliche Sicherheit entstanden ist und sie jetzt äußeren wie inneren Geschehnissen mit mildem Lächeln zuschauen können, die sie früher gestört oder zu klotzigen Taten oder Worten veranlasst hätten.
Zu der Phowa-Übung selbst sollte man nur wenig sagen. Wie alle Diamantweg-Übungen bezieht sie ihre Kraft und Frische aus der unmittelbaren Übertragung der Mittel, und bloßes Reden schadet deswegen dem Ergebnis. Da jeder etwas Unterschiedliches erlebt, schüren die Erzählungen der Vorgänger falsche Erwartungen und engen damit den Raum für die eigenen Erfahrungen ein. Wer ohne vorherige Erklärung einfach bei einem Kurs vorbeischaut, sieht meistens tausend oder mehr Menschen in äußerster Vertiefung oder entspannter Wonne sitzen und hört tibetischen Gesang. Wer das Bewusste Sterben lernen möchte, kann Fragen stellen und die Grundlagen Buddhas in Diamantweg-Zentren lernen.
Obwohl den Texten nach (wenn man nicht gegen den eigenen Lehrer geht) einmaliges Erlernen genügt, empfehlen höchste Lehrer wie Lopön Tsechu Rinpoche, Shamar Rinpoche und auch ich, das erworbene Band zum Buddha des Grenzenlosen Lichtes lebendig zu halten, gute Eindrücke anzusammeln und sich menschenfreundlich zu verhalten, um im Augenblick des Todes mühelos in sein Kraftfeld zu gehen.
Die Kunst des Sterbens
D ie letzten Eindrücke eines Lebens sind sehr kraftvoll. Beim Wegfallen der Sinne hat man keinen Einfluss mehr auf die Ereignisse, sie geschehen einfach und werden, je nach Karma, unterschiedlich erlebt. Die Erfahrungen sind dann unmittelbar, und das ist für viele sehr verwirrend.
Die Haupterfahrung während des letzten Ausatmens färbt noch einige Zeit den Geist. Entspricht sie aber nicht dem allgemeinen Erfahrungsstrom des Toten, verblassen sie und werden vor allem durch die Nachwirkungen von tiefen Wünschen und bedeutungsvollen Taten des letzten Lebens ersetzt. Wer viele gute Eindrücke speicherte und Leidbringendes entfernte, wird Erfüllung und Sinn erfahren, ganz gleich wie die letzten Stunden im Leben verbracht wurden. Die südlichen buddhistischen Schulen messen dem Todesaugenblick große Bedeutung zu, während die nördlichen eher auf die Gesamtsumme eines Lebens schauen. Das Bewusstsein an sich, von Verwirklichern erkannt – also denjenigen, die den Spiegel hinter den Bildern erfahren –, ist aber das letztendliche Ziel.
Wie geschieht das? Beide Schleier, der Schleier der Störgefühle und der der steifen Vorstellungen, müssen dafür zerreißen. Löst sich der erste Schleier durch das Erkennen vom Nichtselbst auf (das heißt, dass das Ich nur eine Fehlvorstellung ist), nennt man das Befreiung, verschwindet auch der zweite durch die Einsicht des Nichtvorhandenseins einer dauerhaften und wirklichen Außenwelt, ist man erleuchtet.
Die inneren Erlebnisse des Sterbenden zeigen mehr von seinem Wesen als die äußeren Umstände. Die Tibeter sehen einen schmerzvollen Tod als einen Blitzableiter und eine nützliche letzte Reinigung, da das zuletzt Erlebte nicht später im Zwischenzustand heranreift, zum Beispiel, wenn man eine wilde Jugend hatte, glücklich alt geworden ist, aber einen schmerzvollen Tod hatte. Bei Bodhisattvas und Lehrern mit viel Mitgefühl wird das ähnlich gesehen, allerdings hier in Bezug auf ihre Schüler bzw. andere Wesen:
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