Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Hannah Nydahl
Meine Frau Hannah, seit 1968 geschätzt als »Mutter«, Schützerin und Vertraute für Dutzende tibetischer Lamas in West und Ost, war im Tod noch beeindruckender, als meine Bücher es erahnen lassen. Statt sich mit dem Gedanken einzuengen, dass ihr blühendes Leben viel zu früh abgeschnitten werde, genoss sie ihre verbleibende Zeit und nutzte sie weiter zum Besten anderer. Sie hatte keine Angst und vertraute auch in dieser Lage, dass alles Sinn macht und in der richtigen Weise geschehen würde. Sie verabschiedete sich öffentlich bei der Neujahrsfeier 2007 in Stuttgart, bedankte sich bei allen Schülern und gab ihnen großes Vertrauen für ihren weiteren Weg.
Bescheiden, wie sie war, bat sie nur um zwei Dinge: die restliche Zeit mit mir zu verbringen – und das in Kopenhagen, in unserem Zuhause. Es geschah wie immer in ihrem Leben, alle Bedingungen kamen wie von selbst zusammen.
Ihre Schülerinnen nahmen sich rührend ihrer Bedürfnisse an und wichen nicht mehr von ihrer Seite. Drei buddhistische Ärzte schenkten ihr ohne Zögern die notwendige medizinische Betreuung, so dass sie die ganze Zeit im Kopenhagener Zentrum verbringen konnte. Auch dort stellten sich alle völlig auf sie ein und boten ihr den Rahmen, das zu schaffen, was ihr noch möglich war.
Der 17. Karmapa Thaye Dorje verabschiedete sich bereits vor Weihnachten von ihr. Er kam extra aus Südspanien mit dem Auto nach Kempten, und wir verbrachten den ganzen Tag mit ihm zusammen. Shamar Rinpoche, der zweithöchste Lama in der Karma-Kagyü-Linie, besuchte sie am 10. März in Kopenhagen. An diesem Tag begriff jeder, dass Hannah sterben würde. Nur der dringende Rat unserer Ärzte, die im Raum nebenan wohnten und sie Tag und Nacht bestens versorgten, hielt die Freunde aus aller Welt davon ab, die Treppe zu ihrem Zimmer zu belagern.
Äußerst bescheiden wie immer, redete sie in all den Monaten nur einmal über den anstehenden Tod: Einen Tag bevor sie aufhörte zu sprechen, übergab sie gemeinsam mit mir ihre Arbeit im KIBI in Delhi an Kerstin und vieles andere an Caty. Hannah unterschrieb glücklich den Kaufvertrag für unser Europazentrum und zog sich dann von den Freunden für dieses Leben zurück.
Zusammen mit der Zeit der Hoffnung auf Genesung vor Neujahr schenkte die Krankheit Hannah und mir fünf Monate des tiefen Austausches, und uns war dabei bewusst, dass wir auch in künftigen Leben als Paar für den Diamantweg zusammenarbeiten würden.
Hannah starb nachts am 1. April 2007 in meinen Armen sitzend. Fünfzehn Mal war sie klinisch tot – über eine Minute ohne Herzschlag oder Atmung –, wie es die beiden buddhistischen Ärzte im Zimmer bestätigten, und jedes Mal kam sie durch ihren Willen wieder zurück. Beim 16. Mal, als klar wurde, dass sie jetzt gehen sollte, machte ich Phowa und bat sie weiterzugehen. Das Lächeln auf ihrem Gesicht am nächsten Morgen sagte alles aus. Es war, als hätte sie soeben etwas Wunderbares geschmeckt.
Als die Weisheit hinter unserer gemeinsamen Arbeit hat sie unzählige Menschen mit ihrer milden Liebe beeinflusst. Für mich ist sie als der leuchtende Zustand der Eingebung immer und überall dabei.
Mögen viele so werden wie sie.
Der 16. Gyalwa Karmapa (1924–1981)
Abb. 37 Der 16. Gyalwa Karmapa
»Nothing happens«, meinte der 16. Karmapa Rangjung Rigpe Dorje auf die Frage hin, was beim Sterben passiert.
Zur Sommerwende 1980 sagte Karmapa in Colorado, USA , beim Abschied zu uns: »Kommt am ersten Tag im elften Monat des nächsten Jahres wieder.« Und er bestätigte, dass die Zeitangabe dem westlichen und nicht dem tibetischen Kalender entsprach. Wir waren verwundert, verstanden aber später, warum er uns eine Zeitlang von sich fernhielt. Wir waren ja seine Hauptschüler bei den frischen Buddhisten im Westen, und vor allem ich war als verantwortlicher Lehrer nur dazu geeignet, ihn als Helden des Augenblicks zu vertreten, so kraftvoll und strahlend, wie wir ihn bis dahin kannten.
»Ihr könnt eure Freunde mitbringen«, fügte er hinzu. So kam es, dass Hannah und ich mit über einhundert Freunden in den Himalaja reisten, während die folgenden Geschehnisse im amerikanischen Krankenhaus bei Chicago abliefen. [47] Es überrascht nicht, dass Karmapa als »König der Yogis Tibets« auch mit seinem Tod sowohl seine Schüler als auch Vertreter der westlichen Wissenschaft tief beeindruckte. Schon zu Lebzeiten verkörperte der 16. Karmapa Rangjung Rigpe Dorje, ebenso wie seine früheren
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