Von wegen Liebe (German Edition)
ein.
Zehn Minuten. Zehn lächerliche Minuten.
Ich stützte mich seufzend auf dem Balkongeländer ab. Von hier oben sah das sterbenslangweilige Hamilton wie eine unheimliche Geisterstadt aus. Kein Mensch war so frühmorgens auf den Straßen unterwegs (um ehrlich zu sein, war dort auch sonst nie besonders viel los) und sämtliche Läden hatten noch geschlossen. Der trübe Himmel, der alles in ein fahles Licht tauchte, machte es nicht besser.
Trostloser ging es nicht.
»Schon mal was davon gehört, dass man an Samstagen ausschläft?«
Ich drehte mich um und sah Wesley in der Balkontür stehen. Er rieb sich lächelnd die müden Augen. Trotz des eisigen Winds trug er nichts außer einer schwarzen Boxershorts. Verflucht. Er hatte einen Wahnsinnskörper … aber daran durfte ich jetzt nicht denken. Ich musste die Sache beenden.
»Wir müssen reden.« Ich suchte nach etwas, das ich anstarren konnte, um seinen halbnackten Körper nicht mit Blicken zu verschlingen. Meine Füße schienen die beste Alternative zu sein.
»Hmm.« Wesley fuhr sich durch seine zerzausten Locken. »Mein Dad sagt immer, das sind die furchteinflößendsten Worte, die eine Frau sagen kann. Er behauptet, dass mit ›Wir müssen reden‹ nie etwas Gutes beginnt. Du machst mir ein bisschen Angst, Duffy.«
»Lass uns lieber reingehen.»
»Auch das klingt nicht gerade vielversprechend.«
Ich folgte ihm in sein Zimmer und knetete nervös meine schweißnassen Hände. Er ließ sich auf sein Bett fallen und schien darauf zu warten, dass ich mich neben ihn setzte, aber ich blieb stehen. Ich durfte es nicht in die Länge ziehen. Casey würde in ungefähr achteinhalb Minuten – ja, ich zählte mit – hier sein und mich abholen. Ich musste es also kurz und schmerzlos machen.
Oder nur kurz. Für schmerzlos war es sowieso schon zu spät.
Ich trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Hör zu«, sagte ich. »Du bist wirklich toll, und ich bin dir wahnsinnig dankbar für alles, was du für mich getan hast.«
Warum hörte sich das nach Schlussmachen an? Musste man nicht erst mal mit jemandem zusammen sein, um ihn verlassen zu können?
»Seit wann das denn?«, fragte Wesley. »Sonst hast du mich immer für einen Mistkerl gehalten und das war noch eine der netteren Bezeichnungen. Ich wusste, dass ich dir irgendwann ans Herz wachsen würde, bloß … irgendetwas sagt mir, dass ich misstrauisch sein sollte.«
»Aber«, fuhr ich unbeirrt fort, »ich kann das nicht mehr. Ich denke, es ist besser, wenn wir … wenn wir nicht mehr miteinander schlafen.«
Jep. Das hörte sich definitiv nach Schlussmachen an. Fehlte nur noch ein »Es liegt nicht an dir. Es ist ganz allein meine Schuld«, dann wäre das Klischee perfekt gewesen.
»Warum?« Er klang nicht verletzt. Nur überrascht.
Es verletzte mich, dass er nicht verletzt klang.
»Weil es für mich nicht mehr funktioniert«, sagte ich und bediente mich der üblichen Floskeln, die ich aus Filmen kannte. Es waren schließlich nicht umsonst Klassiker. »Ich glaube, es ist für uns beide besser so.«
Wesley sah mich stirnrunzelnd an. »Hat es etwas damit zu tun, was gestern Abend passiert ist, Bianca?«, fragte er ernst. »Wenn ja, will ich, dass du weißt, dass du dir keine Sorgen …«
»Das ist es nicht.«
»Was dann?«
Ich starrte auf meine Converse. Der Gummirand löste sich an manchen Stellen ab, aber der Stoff war immer noch leuchtend rot. Scharlachrot. »Ich bin wie Hester«, flüsterte ich, mehr an mich selbst gerichtet als an Wesley.
»Was?«
Ich sah ihn an, überrascht, dass er mich gehört hatte. »Ich bin wie …« Ich schüttelte den Kopf. »Nichts. Das mit uns … es ist vorbei.«
»Bianca …«
Es hupte zweimal kurz hintereinander. Meine Rettung.
»Ich … ich muss los.«
Ich hatte es so eilig, das Haus zu verlassen, dass ich nicht hörte, was Wesley mir hinterherrief. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne, und ich hoffte, ihn für immer dort zurückzulassen.
NEUNZEHN
Casey startete den Motor, als ich in den alten Pick-up ihrer Mutter kletterte. Miss Waller (ehemalige Mrs Blithe, sie hatte nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder angenommen) hätte ein viel hübscheres Auto haben können. Als sie noch mit Caseys Vater verheiratet gewesen war, war es ihnen finanziell bestens gegangen. Mr Blithe hatte ihr einen Lexus kaufen wollen, aber sie hatte abgelehnt. Sie liebte den klapprigen alten Chevy, den sie in ihrem ersten Highschooljahr bekommen hatte. Ihre Tochter konnte die
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