Von Zweibeinern und Vierbeinern
Siegfried.
»Ich weiß, ich weiß. Irgendwie hatte ich noch die Hoffnung, daß es sich zurückbilden könnte, denn er ist ein ziemlich wilder Bursche. Viel können Sie mit ihm nicht anfangen.«
»Also gut«, Siegfried zuckte mit den Schultern. »Bringen Sie einen Strick, wir werden ihn da drüben in die Box treiben.«
Der Bauer ging weg, und Siegfried sagte zu mir: »Weißt du, James, dieser Tumor ist nicht halb so beängstigend, wie er aussieht. Es ist ein gestieltes Gewächs, und wir können oben in den Hals eine örtliche Betäubung spritzen und es abbinden – dann ist es im Nu weg.«
Der Bauer kam mit dem Strick zurück. Ein dunkelhaariger kleiner Mann in Drillichzeug begleitete ihn.
»Das ist Luigi«, sagte er. »Italienischer Kriegsgefangener. Spricht kein Wort Englisch, aber er ist sehr anstellig.«
Das konnte ich mir vorstellen. Luigi war klein von Statur, aber seine breiten Schultern und seine muskulösen Arme deuteten auf Bärenkräfte hin.
Wir sagten »hallo«, und der Italiener erwiderte unseren Gruß, indem er mit einem ernsten Lächeln den Kopf neigte. Er hatte eine Aura von Würde und Selbstvertrauen um sich.
Nachdem unser Patient ein bißchen im Pferch herumgaloppiert war, gelang es uns, ihn in die Box zu treiben. Aber bald merkten wir, daß die Schwierigkeiten jetzt erst anfingen.
Die Red Polls sind große Tiere, und wenn eins heimtückisch ist, kann es zum Problem werden. Dieses fette Biest hatte einen gemeinen Ausdruck in den Augen, und alle unsere Versuche, ihn festzubinden, blieben ohne Erfolg. Entweder fegte er den Strick beiseite oder er schüttelte drohend den Kopf gegen uns. Einmal, als er an mir vorbeibrauste, geriet ich mit meinen Fingern in seine Nase, aber er schnaubte sie weg wie eine Fliege und schlug mit dem Hinterbein aus, so daß ich mir einen tüchtigen Stoß am Oberschenkel einfing.
»Er ist wie ein Elefant«, keuchte ich. »Gott weiß, wie wir ihn einfangen können.«
Beruhigungsspritzen für solche Tiere oder Metallpressen, um sie zu bändigen, gab es damals noch nicht, und Siegfried und ich betrachteten den Ochsen mit düsteren Mienen, als plötzlich Luigi vortrat. Er hielt die Hand hoch und überschüttete uns mit einem italienischen Wortschwall. Keiner verstand ihn, aber wir bekamen immerhin so viel mit, daß wir uns an die Wand stellen sollten. Offenbar hatte er etwas vor, aber was?
Er ging verstohlen auf den Ochsen zu, dann griff er in einer blitzschnellen Bewegung mit beiden Händen nach einem der Ohren. Das Tier tobte sofort wieder los, aber die unbändige Kraft schien gebrochen. Luigi drehte das Ohr um die Längsachse, und das schien wie eine Bremse zu wirken. Jedenfalls kam das Tier langsam zur Ruhe und blieb stehen, den Kopf auf die Seite gelegt und fast jammervoll zu dem kleinen Männchen aufblickend.
Luigi, nun vollends Herr der Situation, deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf den hängenden Tumor des Ochsen.
Siegfried und ich machten uns ans Werk. Wir hatten noch nie erlebt, daß jemand einen tobenden Ochsen am Ohr festhielt, aber wir verloren kein Wort darüber. Dies war unsere Chance! Ich umfing das Gewächs mit beiden Händen, während Siegfried das Betäubungsmittel injizierte. Als die Nadel die Haut durchdrang, zuckte das behaarte Hinterbein – unter normalen Umständen wären wir beide aus der Box geflogen. Aber mit einer weiteren halben Drehung des Ohrs und einem farbenprächtigen Fluch brachte Luigi das Tier zur Raison, so daß es regungslos dastand, während wir unsere Arbeit verrichteten.
Siegfried band das Gewächs mit einer starken Schnur ab und trennte den Stiel unblutig mit dem Ekraseur ab. Der Tumor fiel ins Stroh. Die Operation war beendet.
Luigi ließ das Ohr los und nahm mit einem kleinen Lächeln und einem dankenden Kopfnicken unsere Glückwünsche entgegen. Wirklich, ein imponierender Mann!
Heute, über dreißig Jahre danach, sprechen Siegfried und ich manchmal noch von ihm. Wir haben beide inzwischen versucht, große Rinder nach seiner Methode zu bändigen, doch ohne Erfolg. War Luigi also nur ein Amateur mit Fäusten aus Stahl oder war er ein Bauer und machen sie es in Italien schon seit Menschengedenken so? Wir wissen es bis heute nicht.
An einem stillen Sommerabend – ich kehrte von einem Besuch zurück – hörte ich einen herrlichen Gesang. Es war ein großer Chor von vielen anschwellenden Stimmen, die nirgendwoher zu kommen schienen. Ich hielt an und drehte die Scheibe herunter. Die Berge umstanden mich,
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