Von Zweibeinern und Vierbeinern
Gott, Sie wissen nicht, wie glücklich Sie sich schätzen können!« sagte ich. »Wenn ich an die vielen Stunden denke, die ich mich auf dem Boden von Kuhställen abgeschunden habe, um kalbenden Kühen zu helfen! Wie oft ich Kälber beim Herausholen mit der Drahtschlinge umgebracht oder mir fast die Arme ausgerissen habe bei dem Versuch, den Kopf zu drehen oder die Füße zu fassen zu kriegen! Das waren Nägel zu meinem Sarg! Wie gern hätte ich mir die Schwierigkeiten durch eine hübsche, saubere Operation erspart. Ist es ein komplizierter Eingriff?«
Der Student lächelte überlegen. »Es gehört nicht viel dazu, wirklich nicht.« Er zündete seine Pfeife wieder an, stopfte den Tabak fester und zuckte zusammen, als er mit der Fingerkuppe die Glut berührte. Er schüttelte heftig seine Hand, dann wandte er sich mir zu. »Es scheint nie irgendwelche Komplikationen dabei zu geben. Eine Stunde, und schon ist die Sache erledigt.«
»Klingt großartig.« Ich schüttelte wehmütig den Kopf. »Ich bin zu früh geboren. Bei den Schafen ist es wahrscheinlich ebenso, nicht?«
»O ja, klar«, murmelte Norman leichthin. »Schafe, Kühe, Säue – das geht jeden Tag so, rein und raus. Kein Problem. Fast so leicht wie das Entfernen von Eierstöcken.«
»O ja, ihr jungen Leute habt Glück. Es ist sehr viel einfacher, sich an solche Eingriffe heranzuwagen, wenn man öfter dabei zugesehen hat, wie sie gemacht werden.«
»Stimmt.« Der Student spreizte die Hände. »Aber natürlich ist bei den meisten kalbenden Kühen kein Kaiserschnitt erforderlich, und ich bin immer froh, wenn ich einen ganz normalen Verlauf in mein Fallbuch eintragen kann.«
Ich nickte zustimmend. Normans Fallbuch war sehenswert: ein fest eingebundener Band, in den mit peinlicher Sorgfalt alles, was auch nur von geringstem Interesse sein konnte, unter Überschriften in roter Tinte eingetragen wurde. Die Prüfer sahen sich diese Bücher beim Examen an, und Norman würde für seines bestimmt ein paar Extrapunkte erhalten.
Es war der Bank Holiday-Sonntag im August, und der Marktplatz in Darrowby wimmelte von Sommerfrischlern und Ausflüglern. Wie immer, wenn wir durch Darrowby kamen, betrachtete ich die vergnügten Menschen mit ein wenig Neid. Es schienen nicht viele Leute sonntags zu arbeiten.
Am späten Nachmittag setzte ich den Studenten dort ab, wo er seine Bude hatte, und fuhr nach Skeldale House zurück, zum Tee. Ich hatte es mir gerade gemütlich gemacht, als das Telefon klingelte. Helen nahm ab.
»Es ist Mr. Bushell von Sycamore House«, sagte sie. »Eine Kuh von ihm kalbt.«
»Verdammt! Und ich hatte so gehofft, wir hätten wenigstens den Sonntagabend für uns.« Ich stellte meine Tasse hin. »Sag ihm, ich fahre gleich los.« Ich lächelte, als sie den Hörer auflegte. »Norman wird sich freuen. Er sagte gerade, so etwas könne er für sein Fallbuch brauchen.«
Ich hatte recht. Der junge Mann rieb sich freudig die Hände, als ich ihn rief, und war in bester Stimmung, während wir zu der Farm fuhren.
»Ich las gerade ein paar Gedichte, als Sie klingelten«, sagte er. »Ich lese gern Gedichte. Man findet immer etwas darin, was sich auf das eigene Leben anwenden läßt. Wie jetzt zum Beispiel, wo mich etwas Interessantes erwartet: ›Hoffnung sprießt ewig in des Menschen Brust.‹«
»Das ist von Alexander Pope«, brummte ich. Ich war nicht so hoffnungsfreudig wie Norman. Man wußte nie, was einen bei solchen Gelegenheiten erwartete.
»Sehr gut.« Der junge Mann lachte. »Sie sind nicht leicht zu schlagen.«
Wir fuhren durch das Tor der Farm.
»Sie mit Ihren Gedichten!« sagte ich. »Jetzt geht mir auch dauernd etwas im Kopf herum: ›Ihr, die ihr hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren.‹«
»Dante, natürlich. Aber seien Sie doch nicht so pessimistisch.« Er klopfte mir auf die Schulter, während ich mir die Stiefel anzog.
Der Bauer führte uns in den Kuhstall. In einer Box gegenüber dem Fenster sah uns eine kleine Kuh von ihrem Strohbett aus ängstlich entgegen. Über ihrem Kopf stand mit Kreide auf einer Tafel ihr Name: Bella.
»Die ist ja nicht sehr groß, Mr. Bushell«, sagte ich.
»Wie?« Er sah mich fragend an, und ich erinnerte mich, daß er schwerhörig war.
»Sie ist ein bißchen schmal«, rief ich.
Der Bauer zuckte mit den Schultern. »Ja, sie ist ein bißchen mickrig. Hat es schwer gehabt beim ersten Kalben. Aber danach hat sie recht gut Milch gegeben.«
Ich sah sorgenvoll auf die Kuh, während ich mir das Hemd auszog
Weitere Kostenlose Bücher