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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und mir die Arme seifte. Es gefiel mir nicht, daß sie ein so schmales Becken hatte, und leise sprach ich das Gebet aller Tierärzte vor mich hin: ›Lieber Gott, mach, daß es ein kleines Kalb ist.‹
    Der Bauer stieß mit dem Fuß gegen das helle, scheckige Haar am Hinterteil der Kuh und rief etwas, damit sie aufstand.
    »Sie rührt sich nicht, Mr. Herriot«, sagte er. »Sie hat schon den ganzen Tag Schmerzen. Ich glaube, sie kommt nicht zurecht.«
    Das zu hören gefiel mir gar nicht. Es war immer etwas Ernsthaftes, wenn eine kalbende Kuh sich ohne Ergebnis lange mühte. Und die kleine Kuh, die ich hier vor mir sah, wirkte ziemlich erschöpft. Der Kopf hing nach unten, und immer wieder ließ sie müde die Augenlider sinken.
    Also gut, wenn sie nicht aufstand, mußte ich zu ihr auf den Boden. Als meine nackte Brust den Boden berührte, stöhnte ich kurz auf. Diese Steine sind auch nicht weicher geworden seit dem letzten Mal, als ich hier lag! brummte ich. Aber als ich meine Hand in die Vagina gleiten ließ, vergaß ich alle Unbequemlichkeiten. Die Beckenöffnung war scheußlich eng, und darüber hinaus war da etwas, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ: zwei große Hufe und, auf ihren gespaltenen Oberflächen ruhend, ein riesiges Maul mit zuckenden Nasenlöchern. Verdammt! Ich wußte Bescheid. Mit einiger Anstrengung schob ich die Finger noch ein bißchen weiter vor und ertastete eine vorspringende Stirn, die in die kleine Öffnung gezwängt war wie ein Korken in eine Flasche. Als ich die Hand zurückzog, fuhr die rauhe Zunge des Kalbes über meine Handfläche.
    Ich hockte mich hin und sah zu dem Bauern hoch. »Da ist ein Elefant drin, Mr. Bushell.«
    »Wie?«
    Ich hob die Stimme. »Ein gewaltiges Kalb, und nicht genug Platz zum Rauskommen.«
    »Können Sie’s nicht rausschneiden?«
    »Ich fürchte nein. Das Kalb lebt, und wo könnte ich ansetzen. Ich hab keinen Platz zum Arbeiten!«
    »Oh, wie jammerschade«, sagte Mr. Bushell. »Sie gibt immerhin eine hübsche Menge Milch. Und ich möchte sie nicht zum Schlachter schicken.«
    Das wollte ich auch nicht. Ich mochte nicht einmal daran denken. In diesem Augenblick fiel mir etwas ein – und es war wie ein helles Licht am Horizont. Zugleich war es ein Augenblick der Entscheidung. Ich drehte mich zu dem Studenten um.
    »Jetzt ist es soweit, Norman! Hier haben wir die Indikation für einen Kaiserschnitt. Was für ein Glück, daß Sie da sind. Sie können mich anleiten.«
    Ich war ziemlich atemlos vor Aufregung und bemerkte kaum das ängstliche Flackern in den Augen des jungen Mannes.
    Ich stand auf und griff nach dem Arm des Bauern. »Mr. Bushell, ich möchte einen Kaiserschnitt bei Ihrer Kuh machen.«
    »Einen was?«
    »Einen Kaiserschnitt. Ihr den Bauch aufschneiden und das Kalb operativ herausholen.«
    »Ihr den Bauch aufschneiden und das Kalb rausholen? Wie man es bei Frauen macht?«
    »Genauso.«
    »Na, also wirklich!« Der Bauer hob die Augenbrauen. »Ich wußte gar nicht, daß man das auch bei Kühen machen kann.«
    »Neuerdings können wir das«, sagte ich leichthin. »Das ist der Fortschritt in der Medizin.«
    Er fuhr sich mit der Hand langsam über den Mund. »Ja, ich weiß nicht. Ich fürchte, wenn Sie sie aufschneiden, wird sie sterben. Vielleicht sollte ich sie besser zum Schlachter geben, dann kriege ich wenigstens noch ein bißchen Geld fürs Fleisch.«
    Ich sah den großen Augenblick meiner Laufbahn in Gefahr. »Aber sie ist doch nur so ein dünnes kleines Ding. Es ist nicht viel Fleisch an ihr. Und mit ein bißchen Glück könnte ich ein lebendes Kalb aus ihr herausholen.«
    Damit verstieß ich gegen eines meiner eigenen Prinzipien: »Überrede einen Bauern nie zu irgend etwas.« Aber ich war wie besessen von der Idee, das Kalb mit einem Kaiserschnitt zu holen. Mr. Bushell sah mich lange an, dann nickte er, ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern.
    »In Ordnung. Was brauchen Sie?«
    »Zwei Eimer warmes Wasser, Seife, Handtücher«, antwortete ich. »Und ich bringe ein paar Instrumente rüber ins Haus – die müßten ausgekocht werden.«
    Als der Bauer weggegangen war, stieß ich Norman mit dem Ellenbogen an. »Genau die richtige Situation. Viel Licht, ein lebendes Kalb, und es ist auch nicht schlecht, daß der alte Mr. Bushell so schlecht hört. Wenn wir leise sprechen, kann ich Sie immer fragen, wie es weitergehen soll.«
    Norman sagte überhaupt nichts. Ich bat ihn, ein paar Strohballen für unsere Instrumente herzubringen und ein

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