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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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schrecklich leer ohne Helen.
    Ich öffnete die Tür zu dem langen, schmalen Zimmer, das in der guten alten Zeit Ankleideraum gewesen war. Dort hatte Tristan geschlafen, als wir alle noch Junggesellen waren. Jetzt war es Jimmys Zimmer, und sein Bett stand an genau der gleichen Stelle wie früher das meines Freundes.
    Ich betrachtete meinen Sohn, wie ich früher oft auch Tristan im Schlaf betrachtet hatte. Ich hatte immer Tristans engelhafte Unschuld bewundert, aber selbst er konnte sich nicht mit einem schlafenden Kind vergleichen.
    Dann wanderten meine Blicke zu der Wiege, die dort schon auf Rosie wartete.
    Bald, dachte ich, werden zwei in diesem Zimmer schlafen. Ich war glücklich, ich fühlte mich sehr reich.

Kapitel 13
     
    »Hier spricht Biggins.«
    Ich umklammerte den Telefonhörer fester, und meine Fingernägel gruben sich in meine Handfläche. Mr. Biggins betrachtete den Anruf beim Tierarzt immer als letzte verzweifelte Maßnahme. Außerdem war er überaus dickköpfig, wenn ich ihm einen guten Rat gab. Ich konnte mir mit absoluter Sicherheit sagen, daß ich ihn bestimmt noch nicht ein einziges Mal zufriedengestellt hatte.
    Er hatte mich schon früher oft gequält, aber in den letzten Jahren war er immer noch ein bißchen dickköpfiger geworden.
    »Was gibt’s, Mr. Biggins?«
    »Ich habe eine junge Kuh, der es schlechtgeht.«
    »Gut, ich komme noch heute vormittag.«
    »Moment.« Mr. Biggins wußte noch nicht, ob er mich sehen wollte, obwohl er sich dazu durchgerungen hatte, den Telefonhörer abzunehmen und mich anzurufen. »Geht es vielleicht auch telefonisch?«
    »Ich weiß nicht. Was hat sie denn?«
    Eine lange Pause folgte. Dann: »Sie liegt nur da.«
    »Das klingt ernst. Ich komme so schnell wie möglich.«
    »Sie hat nicht immer gelegen.«
    »Wie lange liegt sie denn schon so?«
    »Nur die letzten paar Tage.«
    »Sie meinen, sie ist einfach hingefallen?«
    »Nee, nee, nee.« Es klang ein bißchen ärgerlich. »Sie hat eine Woche nichts gefressen, und jetzt liegt sie auf dem Boden.«
    Ich holte tief Luft. »Dann ist sie also schon eine ganze Woche krank, und jetzt, wo sie zusammengebrochen ist, rufen Sie mich an?«
    »Ja, richtig. Sie war ganz gut beieinander, bevor sie umfiel.«
    »Schön, Mr. Biggins, ich komme gleich.«
    »Ja, aber... aber Sie meinen, daß es wirklich nötig ist?«
    Ich legte den Hörer auf. Ich wußte aus Erfahrung, daß das Gespräch sonst ewig so weitergehen würde. Ich wußte auch, daß ich wahrscheinlich zu einem hoffnungslosen Fall unterwegs war. Aber wer weiß, vielleicht konnte ich noch etwas tun.
    Zehn Minuten später war ich auf dem Hof. Mr. Biggins stand in seiner typischen Haltung da: die Hände in den Hosentaschen, die Schultern hochgezogen, die Augen unter den dicken, zotteligen grauen Augenbrauen mißtrauisch auf mich gerichtet.
    »Sie kommen zu spät.«
    Ich hatte erst einen Fuß aus dem Wagen gesetzt. »Sie meinen, sie ist tot?«
    »Nein, aber kurz davor. Sie kommen zu spät.« Ich biß die Zähne zusammen. Das Tier war eine Woche krank gewesen, und ich hatte seit dem Anruf nur zehn Minuten gebraucht. Trotzdem, der Bauer hatte es mir klar zu verstehen gegeben. Wenn die Kuh starb, würde es meine Schuld sein. Denn ich war zu spät gekommen.
    »Schön«, sagte ich und versuchte mich zu beruhigen. »Wenn sie sowieso stirbt, kann ich nichts mehr tun.« Und ich tat so, als wollte ich wieder in den Wagen einsteigen.
    Mr. Biggins senkte den Kopf und stieß einen Stein mit seinem großen Schuh zur Seite. »Wollen Sie nicht wenigstens einen Blick auf sie werfen, wenn Sie schon hier sind?«
    »Aber Sie sagten doch gerade, ich käme zu spät.«
    »Ja... ja... aber Sie sind schließlich Tierdoktor.«
    »Gut, wenn Sie wollen.« Ich stieg wieder aus. »Wo ist sie?«
    Er zögerte. »Kostet das was extra?«
    »Nein. Ich habe die Fahrt zu Ihrem Hof gemacht, und falls ich nichts mehr tun kann, ist das alles, was Sie zu bezahlen haben.«
    Es war ein traurig-vertrauter Anblick. Die ausgezehrte junge Kuh lag in einer dunklen Ecke des Stalls. Die Augen waren eingesunken und glänzten und bewegten sich alle paar Sekunden in einem zitternden Krampf – so kündigte sich der Tod an. Die Körpertemperatur betrug 39 Grad.
    »Ja, Sie haben recht, Mr. Biggins«, sagte ich. »Sie stirbt.« Ich steckte mein Thermometer ein und ging zum Wagen zurück.
    Der Bauer war ein Bild des Mißmuts, wie er da stand, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Dann sah er mich kurz an. »Wo gehen Sie

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