Voodoo
durchschnittlich zehn Stunden, an schlechten doppelt so lang.
Chantale hatte einen kleinen Picknickkorb für die Reise eingepackt. Zwar gab es auf dem Weg mehrere Ortschaften und in der Nähe der Wasserfälle eine kleine Touristenstadt namens Ville Bonheur, aber man konnte nie wissen, was einem da vorgesetzt wurde. Nicht selten wurden Haustiere und Ratten als Huhn, Schweine- oder Rindfleisch verkauft.
»Warum genau wollen Sie nach Saut d’Eau?«, fragte Chantal e.
»Erstens: Ich will mit diesem Le-Ball-eck sprechen. Faustin wuss te, wer Charlie entführen wollte. Vielleicht hat er dem Kerl davon erzählt oder Andeutungen gemacht. Und Clarinette ist der letzte Ort, den meine Vorgänger vor ihrem Verschwinden aufgesucht haben. Ich will wissen, warum, was sie dort gesehen oder gehört haben. Sie müssen irgendeiner Sache auf der Spur gewesen sein.«
»Meinen Sie nicht, dass die Leute, die dahinterstecken, inzwischen alle Spuren verwischt haben?«
»Klar«, nickte Max. »Aber man weiß ja nie. Vielleicht haben sie was übersehen. Die Chance besteht immer.«
»Winzig«, sagte Chantale.
»Wie immer. Man lebt ständig in der Hoffnung, dass der Übeltäter noch dusseliger und schlampiger ist als man selbst. Und manchmal hat man Glück«, sagte Max grinsend.
»Und wieso haben Sie Filius Dufour nicht erwähnt?«
»Was, diesen Müll von wegen ›Gehen Sie an die Quelle der Legende‹? Ein Hellseher ist ungefähr der Letzte, dessen Rat ich vertrauen würde. Ich halte mich an Fakten, nicht an Fantasie. So eine Ermittlung löst sich in Rauch auf, wenn man sich das Okkulte ins Boot holt«, sagte Max.
»Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich glauben«, bemerkte Chantale.
»Wenn ihm der Junge am Herzen läge und wenn er wirklich etwas wüsste, hätte er es gesagt.«
»Vielleicht durfte er nichts sagen.«
»Ach? Wer soll ihm das denn verbieten? Die Geister, mit denen er plaudert – oder was immer er mit denen macht? Kommen Sie, Chantale! Der Typ weiß genauso viel wie ich: nichts, nada, niente.«
Die erste Stunde fuhren sie durch tiefschwarze Dunkelheit, heraus aus Pétionville und über eine mit Werbeplakaten und Telegrafenmasten gepflasterte Ebene Richtung Berge. Die Straße war erstaunlich glatt, bis sie eine lange Haarnadelkurve um die ersten Berge herum nahmen und der Untergrund sich erst in Kies und dann in Schotter verwandelte. Chantale ging vom Gas und schaltete das Radio ein. Im American Forces Radio lief I Wish I Could Fly von R Kelly. Sofort drehte Chantale am Suchknopf und fand den Wu Tang Clan mit America Is Dying Slowly , sie drehte weiter und stieß auf ein haitianisches Talkradio, auf dem nächsten Sender lief ein Gottesdienst, danach kamen einige aus der Dominikanischen Republik, die eine Mischung aus Salsa, Talk und Sportberichten sendeten – der Geschwindigkeit nach zu urteilen ging es um Fußball –, alles auf Spanisch. Max musste grinsen, weil es ihn an die Radiolandschaft daheim in Miami erinnerte, nur dass alles sehr viel chaotischer war, als sich zu Hause einer trauen würde.
Chantale kramte eine Kassette aus der Handtasche, schob sie ein und drückte auf Play.
»Sweet Micky«, verkündete sie.
Ein Live-Mitschnitt. Sweet Micky hatte eine Stimme wie Sandpapier auf einer Käsereibe, sein Gesang war ein Repertoire aus Schreien, Bellen, Kreischen, Lachen und – bei den hohen Tönen – dem hysterischen Jaulen sich prügelnder Katzen. Die Musik durchgeknallter Funk, in einem frenetischen Tempo gespielt. Anders als alles, was Max je gehört hatte. Chantale tauchte tief in die Musik ein, tanzte mit dem ganzen Körper, hämmerte mit den Händen aufs Lenkrad und mit den Füßen auf die Pedale ein, wiegte Kopf, Oberkörper und Hüften. Sie flüsterte den Refrain – » Tirez sur la gâchette – baffi baffi baffi « – , formte die Hand zu einer Pistole und feuerte in die Luft. Sie hatte ein leises Lächeln auf den Lippen, die Augen waren voller Freude und Aggression, als sie sich auf den wilden Groove der Musik einließ.
»› Imagine all the people , livin' life in peace ‹ war das wohl nicht, wie?«, fragte Max, als das Lied zu Ende war und sie die Kassette wieder auswarf.
»Nein«, sagte sie. »Das Lied handelt von den Raras . Eine Art Tanz, den die Leute zu Karneval machen. Sie ziehen durch die Straßen und von Dorf zu Dorf. Das Ganze dauert mehrere Tage. Ziemlich wilde Angelegenheit. Jede Menge Orgien und Morde.«
»Klingt ja lustig«, bemerkte Max.
»Sie werden es vielleicht noch
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